26.07.2024

Bericht über das Symposium »Christus predigen – in Wort, Tat und Ton. Internationale und interdisziplinäre Perspektiven«

Wie wird Christus heute gepredigt? In welcher Vielfalt wird seine Gegenwart erlebt? Wie wirken Wort, Tat und Ton, die von ihm zeugen, auf- und miteinander? Diesen Fragen wurde auf einem dreitägigen Symposium vom 21. bis 23. Juni 2024 unter dem Titel »Christus predigen – in Wort, Tat und Ton« anlässlich der Emeritierung des Neutestamentlers und Praktischen Theologen Helmut Schwier in Heidelberg nachgegangen. Unter der wissenschaftlichen Leitung von Christine Wenona Hoffmann (Frankfurt) und gemeinsam mit Christine Böckmann und Henrik Imwalle (beide Heidelberg) wurden dazu unterschiedlichste Perspektiven aus dem In- und Ausland zusammengebracht. Seinen Höhepunkt und Abschluss fand das Symposium in einem Festgottesdienst mit über 500 Teilnehmenden am 23. Juni in der Heidelberger Universitätskirche Peterskirche. In diesem Gottesdienst wurde Helmut Schwier von der Badischen Landesbischöfin Heike Springhart von seinen Pflichten als Universitätsprediger nach über zwanzigjähriger Tätigkeit entpflichtet. Musikalisch begleitet wurde der Gottesdienst von Carsten Klomp an der Orgel und dem Collegium Musicum unter der Leitung von Michael Sekulla.

Der zweisprachig in Deutsch und Englisch durchgeführte wissenschaftliche Veranstaltungsteil richtete sich sowohl an ein Fachpublikum aus Forschung und Lehre als auch an Pfarrpersonen, kirchliche Mitarbeitende und Interessierte sowie Studierende und fand bewusst in der Heidelberger Peterskirche und im Heidelberger Prediger:innenseminar als den zentralen Wirkungsstätten Helmut Schwiers neben der Universität und Theologischen Fakultät statt. Das Symposium wurde ermöglicht durch die finanzielle Unterstützung der Fritz Thyssen-Stiftung, der Evangelischen Kirche in Deutschland, der Evangelischen Landeskirchen in Baden, der Pfalz sowie Hessen und Nassau.

Anliegen und Anlass der Veranstaltung sind voneinander nicht zu trennen und so wurde mit der Christus-Predigt eines von Helmut Schwiers Herzensanliegen näher erschlossen. Dies geschah mittels unterschiedlicher fachlicher und internationaler Zugänge. Homiletische, liturgische, musikwissenschaftliche, exegetische, religionspädagogische, poimenische und systematisch-theologische Perspektiven aus dem deutschen, südafrikanischen, dem afro- und US-amerikanischen Kontext wie auch solche aus der Hochschul- und Kirchenpolitik wurden dazu miteinander ins Gespräch gebracht. Damit wurde zugleich deutlich, dass die Frage nach der Rede von Jesus Christus weit über die Predigt und gottesdienstlichen Vollzüge hinaus zu denken und zu gestalten ist. Denn die Christus-Predigt umfasst mehr als das bloße Verkündigen der christlichen Botschaft und Rede über Jesus Christus. Sie endet nicht an der Kirchentür, sondern steckt auch in Musik, im Segen und der Seelsorge. Diese Vielstimmigkeit wurde auf dem Symposium in Vortragsformaten hörbar, aber auch in Tat und Ton erfahrbar.

Den systematisch-theologischen Einstieg in die Thematik bot der Praktische Theologe Fritz Lienhard (Heidelberg) mit seinen Überlegungen zur Bedeutung der Bibel als literarischer Gattung, ihrer Verwendung als Quelle dogmatischer Konstatierungen sowie deren Relevanz für die Predigt. Dazu zeichnete er, in Rekurs auf Paul Ricœur, anhand der Versuchung Jesu die Beziehung von Vater und Sohn im Sinne eines dreistufigen hermeneutischen Modells nach. In diesem erschloss Lienhard über die Bedeutung des Kreuzes die Phänomene Armut und Abhängigkeit sowie das eines radikalen Vertrauens, welches diese Beziehung nicht nur grundlegend präge und im Sinne ihrer gegenseitigen Bedingtheit beeinflusse, sondern auch für die Predigt wichtige Impulse biete. Dabei wurde deutlich, wie viel Potenzial, aber auch weiterer Entwicklungsbedarf in der Verschränkung und zugleich kritischen Bezugnahme dogmatischer und philosophischer Zugänge für die Predigt und Homiletik liegt.

Daran anschließend führte die Rostocker Alttestamentlerin Judith Gärtner in die gegenwärtigen Transformationsprozesse und Herausforderungen ein, vor denen das Theologiestudium und dessen Restrukturierung stehen. Vor dem Hintergrund ihrer Erfahrungen als Mitglied im Vorstand des Fakultätentags zeigte sie neben aktuellen hochschulpolitischen Entwicklungen auch auf, welche Bemühungen und Überlegungen zu einer Transformation des Theologiestudiums bereits angedacht oder aber noch zu entwickeln sind. Neben konkreten Herausforderungen wie der Abstimmung über künftige Möglichkeiten berufsqualifizierender theologischer Abschlüsse führte Gärtner auch die mit diesen Diskussionen einhergehenden Fragen nach Anspruch und Selbstverständnis der Theologie sowie der Frage nach deren wissenschaftlicher Relevanz aus. Dabei kamen universitäre und kirchliche Stimmen ebenso zu Wort wie die Symposiumsteilnehmenden. Mit ihrem interaktiven Beitrag nahm Gärtner nicht nur die Erfahrungen und Ideen des Auditoriums auf, sondern bot zugleich einen abendfüllenden Diskussionsimpuls.

Der Heidelberger Neutestamentler Peter Lampe eröffnete den zweiten Symposiumstag mit neutestamentlichen Perspektiven auf die Christus-Predigt, die er ethisch, soteriologisch und handlungsbezogen zuspitzte. Anhand der paulinischen Kreuzestheologie, die Lampe als eine Hinführung in eine existenzielle Theologie las, zeigte er, dass und inwiefern genau darin Praxis und Bekenntnis zusammenwirken. Als unmittelbare Folge daraus sei der Begriff der Nachfolge Christi sowohl im Sinne einer Nachahmung als auch einer konkreten Verkörperung zu denken. Psychologisch argumentierend erschloss Lampe diese Form der Identifikation homiletisch und ekklesiologisch fundiert. Dies geschah, indem er sie sowohl in Hinblick auf den Umgang mit Ressourcen und mit Macht konkretisierte als auch daraus Impulse für »die Kirchen von heute« ableitete.

Daran anschließend führte die Praktische Theologin Annette Daniela Haußmann (Heidelberg) diese Spur anhand ihrer Lektüre des barmherzigen Samariters als Grundmotiv diakonischen und seelsorgerlichen Handelns weiter und exemplifizierte sie an kirchlichen Sorgegemeinschaften. Dazu rückte sie die Bedeutung und Vieldimensionalität der wohl prominentesten biblischen Sorge-Geschichte in den Fokus und zeigte mit eigenen empirischen Forschungen, dass dieses Kernmerkmal christlicher Glaubenspraxis bis heute zutiefst im Care-Bereich und Sozialraum – auch jenseits kirchlicher Praxis – verwurzelt ist. Zugleich zeichnete sie anhand von ausgewerteten Interviews nach, dass eben dieser Bereich – auch in der kirchlichen Wirklichkeit – bis heute nur am Rande der Aufmerksamkeit verhandelt wird und damit in Fortführung der Samariter-Geschichte als einer Delegationsgeschichte besteht. Mit ihrem Beitrag setzte Haußmann der Unsichtbarkeit von (Seel)Sorge in Kirche und Gesellschaft einen kreuzestheologisch-argumentierenden Impuls entgegen, womit sie zugleich für ein Bewusstsein sowie die transparente und offene Kommunikation eigener Verletzlich- und Bedürftigkeiten plädierte.

Einen deutlichen Praxisbezug wies auch der folgende Beitrag auf, in dem der Musikwissenschaftler Stefan Menzel (Heidelberg) in die Entstehungsgeschichte und das christologische Programm von Bachs Gloria-Kantate (BWV 191) einführte und darin das »et in terra pax« weit über die Zeiten der Schlesischen Kriege hinaus auch für die Gegenwart erschloss. Dabei beschränkte sich der Beitrag nicht auf das gesprochene Wort, sondern bot die referierten Sätze inszeniert vom Collegium Musicum unter der Leitung des Universitätsmusikdirektors Michael Sekulla (Heidelberg) auch als Hörerfahrung an. Dem voraus ging die Einladung an die Symposiumsteilnehmenden zum von Sekulla angeleiteten und vom Collegium Musicum begleiteten gemeinsamen Gesang.

An diesen performativen Beitrag anschließend erschloss Jonathan C. Augustine (Durham, NC), leitender Pastor der St. Joseph Church in Durham und Fakultätsmitglied der Duke Divinity School, in einem inspirierenden Vortrag die prophetische Tradition des African American Preaching und der Black Theology. Ausgehend von Jean Lipman-Blumens Überlegungen zu leadership entwickelte der für Bürgerrechte, soziale Gerechtigkeit und Versöhnung engagierte Augustine vor dem Hintergrund des dreifachen Amtes Jesu Christi drei Handlungs- und Verhaltensmodelle, die er homiletisch und kirchentheoretisch explizierte. Diese Öffnung des christologischen Modells über dessen im deutschsprachigen Raum übliche ekklesiologische Deutung hinaus erklärt und begründet nicht nur die Notwendigkeit der Konkretion der prophetischen Predigt als einer politischen, gesellschaftlich verantwortlichen Predigt. Vielmehr wurde darin deutlich, inwiefern die Predigt selbst zum Medium und Mittel gelebter Theologie werden kann, die das Heil verkündet, (soziale) Ungerechtigkeiten verbalisiert und Gott als mit marginalisierten und unterdrückten Personen parteiischen Gott predigt. Die kirchentheoretischen Konsequenzen, die sich daraus ergeben, konkretisierte Augustine anhand kirchlicher Verantwortlichkeiten angesichts aktueller Entwicklungen in der US-amerikanischen Politik wie der anstehenden Präsidentschaftswahl im November 2024.

Der Heidelberger Systematische Theologe Martin Hailer widmete sich in seinem Vortrag ex- und impliziter Christologien von Religionslehrkräften. Ausgehend von empirischen Untersuchungen legte er dazu nicht nur dar, dass bis heute eine starke Dualität in der von Religionslehrer:innen vertretenen Christologie von oben oder von unten beobachtbar sei, sondern stellte vor allem in Anknüpfung an das alttestamentliche Motiv der Herabneigung Gottes sowie in Aufnahme des Kenosis-Gedanken einen Zugang zur Vermittlung von christologischen Inhalten zur Diskussion, der mit der Betonung der Fremdheit und Unwahrscheinlichkeit des Christuszeugnisses zugleich die kategoriale Andersheit von Theologie und Religion als Schulfach betont.

Fragestellungen von Vermittlung und Aneignung wurden auch von der Praktischen Theologin Elsabé Kloppers (Pretoria) und dem Liturgiewissenschaftler Benedikt Kranemann (Erfurt) in einem gemeinsam gestalteten Beitrag diskutiert und anhand der diakonischen Kraft des Singens und Segens exemplarisch nachgezeichnet. Dabei wurde einerseits deren versöhnende und verbindende Kraft über gesellschaftliche und konfessionelle Normen hinweg nachvollziehbar. Andererseits wurde deutlich, in welch dynamischem Transformationsprozess sich evangelische und katholische Liturgieverständnisse gegenwärtig befinden und warum dieser Prozess nur in einem ökumenischen, kultur- und diversitätssensiblen Miteinander und unter einer damit einhergehenden Neuausrichtung kirchlicher Selbstverständnisse gestaltbar ist.

In der Zusammenschau der unterschiedlichen Perspektiven und Stimmen wurde eindrucksvoll deutlich: Christus predigen muss und kann ausschließlich in der im Symposium angedeuteten (und keinesfalls abgeschlossenen) Polyphonie gedacht werden und erfolgen. Das Zusammenspiel von Wort, Tat und Ton ist dabei Grundlage und zugleich Begründung der dargestellten vieldimensionalen Verkündigungsarten, die sich wie Helmut Schwier (Heidelberg) in seiner Abschiedsvorlesung zum Ende des wissenschaftlichen Teils des Symposiums eindrücklich systematisierte, auch im jesuanischen Handeln und Wirken zeigt. Im Horizont der Auferstehungshoffnung entfaltete Schwier dazu seine Überlegungen zu einer diakonischen Christologie, aus der die Motivation zu einem Handeln angesichts veränderlicher Lebensrealitäten und weltlicher Herausforderungen hervorgehe. Dies verdeutlichte er sowohl im Zuge seiner exegetischen Relektüre des Liebesgebots, womit er zugleich diakoniewissenschaftlichen Zugängen Raum schenkte, als auch anhand konkreter Beispiele aus universitärer und kirchlicher Praxis. Die »Theologie der Zukunft« zeichnete er dabei als einen lebendigen, selbstkritischen und respektvollen Zugang, der »zwischen Kritik und Aneignung« (so der Titel seines Vortrags) beständig neue Räume und Formen der Glaubenspraxis und deren Reflexion schaffe. Schwier schloss seine Ausführungen mit einem leidenschaftlichen Plädoyer für eine mutige und umsichtige Wahrnehmung, Begegnung, Gestaltung und Feier von kirchlichen und gesellschaftlichen Diversitäten und erinnerte daran, dass weder die Kirchen noch die akademische Theologie als Selbstzweck dienten. Vielmehr sei es ihre Aufgabe, Gottes Leidenschaft für das Leben zu bezeugen und Menschen im Glauben und der Hoffnung zu begeistern. Diese Begeisterung und Hoffnung gelte es – auch und gerade angesichts des gegenwärtigen Ringens um die akademische Theologie in Kirche und Universität – selbstkritisch, konstruktiv und zukunftsgewandt sowohl zu vermitteln als auch weiterhin wissenschaftlich zu ergründen.

Das Symposium kann als gelungene und solide Grundlage für eine solche interdisziplinäre Erschließung verstanden werden, seine Anliegen wurden eingelöst: In drei erkenntnisreichen Tagen kamen hunderte Menschen aus unterschiedlichsten Professionen, fachlichen Kontexten, Ländern, Traditionen und auch Generationen miteinander ins Gespräch, lernten von- und miteinander und trugen neue Impulse in einen lebhaften Diskurs um ein zentrales Proprium evangelischen und vor allem christlichen Selbstverständnisses ein. Möge dieser Diskurs auch über das Symposium hinaus Inspiration bieten und die Christus-Predigt bereichern.

Die schriftlichen Ergebnisse dieses Austausches sollen dafür eine weitere Grundlage bieten. Sie werden 2025 bei der Evangelischen Verlagsanstalt in Leipzig unter dem Titel »Christus predigen – in Wort, Tat und Ton«, hg. von Christine Böckmann, Christine Wenona Hofmann und Henrik Imwalle, veröffentlicht. Eindrücke und Ausschnitte vom Symposium sowie die Abschiedsvorlesung von Helmut Schwier in Videoform sind bereits heute auf der Seite von Wolfram Kerner (Projekt TheoLogo) einsehbar unter: https://www.theologo.info/christus-predigen.

Christine Wenona Hoffmann, Goethe-Universität Frankfurt