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Ausgabe: | Januar/2008 |
Spalte: | 32–34 |
Kategorie: | Bibelwissenschaft |
Autor/Hrsg.: | Backhaus, Knut, u. Gerd Häfner |
Titel/Untertitel: | Historiographie und fiktionales Erzählen. Zur Konstruktivität in Geschichtstheorie und Exegese. |
Verlag: | Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 2007. XII, 164 S. 8°. Kart. EUR 19,90. ISBN 978-3-7887-2204-3. |
Rezensent: | Doris Hiller |
Der an der katholisch-theologischen Fakultät der Universität München entstandene Aufsatzband greift mit seinem Thema in die Debatte um die geschichtstheoretisch und exegetisch gleichermaßen relevante Frage nach dem Verhältnis von Faktizität und Fiktionalität in Geschichtsdarstellungen ein.
In vier Beiträgen und einer kurzen Abschlussstudie setzen sich die Autoren mit den in dieser Debatte virulenten Begriffen »Konstruktion«, »Intention« und »Referenz« sowie der Frage nach Kriterien in der historiographischen Beurteilung von Quellen auseinander. Dabei stehen sich jeweils eine geschichtstheoretische Studie und ein Beitrag zur exegetischen Bedeutung der geschichtstheoretischen Bezüge gegenüber. K. Backhaus konzentriert sich auf die antike Geschichtsschreibung und die Parallelen im lukanischen Geschichtswerk. G. Häfner nimmt Stellung zur neueren geschichtstheoretischen Diskussion im Verhältnis zur gegenwärtigen Jesusforschung.
In seinem Beitrag »Spielräume der Wahrheit« konzentriert sich Backhaus im Blick auf die antike Geschichtsschreibung auf das konstruktive Moment in der hellenistisch-reichsrömischen Geschichtsschreibung. Ausgehend von der Feststellung, dass der fiktionale Erzählmodus für antike Geschichtsschreibung prägend ist, entfaltet er seine These, die die hellenistisch-frühreichsrömische Geschichtsschreibung als Mischtypus beschreibt. Die narrative Kohärenz wird in der Durchdringung von rhetorischen, mimetischen und paideutischen Elementen erreicht. Annäherung an und Mitteilung von Wirklichkeit ergeben eine geformte Kohärenz, in der die Bindung an den Gesamtsinn einen wahrheitsorientierten, aber imaginativen Raum eröffnet, der Historie beweglich sein lässt.
In diesem historiographischen Kontext ist die Apostelgeschichte des Lukas zu lesen, wie Backhaus in der Studie »Lukas der Maler: Die Apostelgeschichte als intentionale Geschichte der christlichen Erstepoche« zeigt. In Apg zeichnet Lukas ein Gedächtnisbild des Urchristentums als intentionale Geschichte der werdenden Kirche. Im Horizont antiker Geschichtsschreibung lautet die Frage nicht, ob Lukas dabei konstruiert, sondern wie dies im Rahmen seines theologischen Programms und in Orientierung an seinen Adressaten geschieht. Die historiographische Gestalt ist dabei vom theologischen Gehalt nicht zu lösen. Die theologische Denkfigur versteht sich »als sinnstiftender Beitrag zur geschichtlichen Wahrheit« (42) in Form einer historiographischen Erzählung in heilsgeschichtlicher Ausrichtung. Die Aufgabe exegetischer Forschung besteht so in der Erkundung der Ermessensräume, in denen sich die Geschichtskonstruktion bewegt, wobei deren narrativ-theologisch begründete Faktizität nicht in der Behauptung oder Bestreitung historischer Referenz aufgeht.
G. Häfner leitet die neuere Diskussion mit der Frage nach dem Verhältnis von »Konstruktion und Referenz« ein und gibt Impulse aus dieser neueren geschichtstheoretischen Debatte. Thematisch geht es um die Ermittlung historischer Fakten. Bezug genommen wird vor allem auf die Entwürfe narrativer Theorie von H. White und F. R. Ankersmit. Sowohl White mit seiner Beschreibung von Historiographie als Fiktion der Darstellung des Faktischen als auch Ankersmit mit seiner Trennung von faktenorientierter und interpretationsgeleiteter Forschung können – so Häfner – das Verhältnis von Faktizität und Fiktionalität nicht eindeutig klären, weil sie die Ermittlung des Faktischen nicht näher begründen. Wenn aber Historiographie für historische Forschung relevant sein soll, bedarf es einer kritischen Reflexion auf die außersprachliche vergangene Wirklichkeit. Sie ist sich der Fragwürdigkeit der Fakten bewusst, die zwar keine identische, aber eine möglichst adäquate Wiedergabe der Vergangenheit erlaubt. Zwischen Konstruktion und Rekonstruktion stellt historische Forschung im Ausgang von ihren Fragestellungen die vergangene Wirklichkeit zwar nicht wieder her, ist aber auch nicht unabhängig von ihr zu denken (94).
Mit diesem eher offenen Zugang zu einer unsicheren Geschichte (H.-J. Goertz) begibt sich Häfner in seinem zweiten Beitrag »Das Ende der Kriterien? Jesusforschung angesichts der geschichtstheoretischen Diskussion« in die Auseinandersetzung mit Jens Schröters Vorschlag, die Evangelien als Erinnerungsphänomen zu betrachten. Häfner hält die Kategorie der Erinnerung aus geschichtstheoretischer Sicht für wenig geeignet, um ein hermeneutisches Modell für die Jesusforschung abzugeben. Da Erinnerung stets gedeutete Vergangenheit ist, muss – soll ihr historische Qualität zukommen – die Kontinuität zwischen Jesus und dem christlichen Bekenntnis angenommen werden. Ein solches Postulat lässt aber nach dem methodischen Instrumentarium fragen. In der gegenwärtigen Diskussion um solche Kriterien ist aber, so weist Häfner nach, kein Fortschritt gegenüber bzw. keine Ablösung von klassischer historischer Kritik zu erkennen. Allerdings sieht Häfner in diesen Kriterien keine Methode zur Wiederherstellung der Vergangenheit, sondern beruft sich auf deren Kontrollfunktion, um die (re-)konstruktiven Momente der Darstellung im Verhältnis von Fiktionalität und Faktizität beschreiben zu können.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Autoren mit Argumenten operieren, die der geschichtstheoretischen Diskussion durchaus geläufig sind: Fiktionalität antiker Geschichtsschreibung, Relevanz des Narrativen für geschichtliches Verstehen. Im Übertrag auf die exegetische Forschung allerdings, der es als theologischer Disziplin nicht allein um das historische Moment gehen kann, zeigt sich im Bezug auf die narrative Dimension biblischer Texte die Möglichkeit zu einer theologischen Ausdifferenzierung des methodischen Instrumentariums historischer Kritik.
Inwiefern die Autoren aber selbst trotz des Appells, im Wissen um die Konstruktionen historischer Wirklichkeit hinsichtlich des Historischen genauer zu beobachten und behutsamer zu argumentieren, dem traditionellen historisch-kritischen Erbe verpflichtet bleiben, wenn sie den Exegeten in historischer Arbeit zur Distanz mahnen und dabei die theologische Qualität des Erinnerns in Frage stellen, bleibt in der Gesamtschau der vorgestellten Aufsätze anzufragen. Mit dieser Frage wird zugleich die Diskussion zwischen Geschichtswissenschaft, Theologie und Exegese weiter angeregt.