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Ausgabe: | September/2007 |
Spalte: | 958 f |
Kategorie: | Kirchengeschichte: 20. Jahrhundert, Zeitgeschichte |
Autor/Hrsg.: | Bogs, Holger, u. Walter Fleischmann-Bisten [Hrsg.] |
Titel/Untertitel: | Erziehung zum Dialog. Weg und Wirkung Wolfgang Suckers. |
Verlag: | Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2006. 232 S. m. zahlr. Abb. 8° = Bensheimer Hefte, 105. Kart. EUR 19,90. ISBN 3-525-87196-1. |
Rezensent: | Rainer Stahl |
Aus Anlass des 100. Geburtstages von Kirchenpräsident Prof. D. Wolfgang Sucker, Evangelische Kirche in Hessen und Nassau, jahrzehntelanger Mitarbeiter des Evangelischen Bundes und ab 1963 dessen Präsident, am 21. August 2005 wurde am 18. November 2005 im Konfessionskundlichen Institut in Bensheim eine Gedenkfeier durchgeführt. Die dort gehaltenen Vorträge und Beiträge liegen nun – erweitert durch die Darstellung des Lebensweges (Holger Bogs und Alexandra Jordan, 17–49) und wichtiger thematischer Schwerpunkte – in einem Band in der Reihe der »Bensheimer Hef te« vor. Der thematische Bogen wird gespannt vom Verhältnis von Evangeliumsverkündigung zu ökumenischem Engagement (Hans-Martin Barth, 50–64) über die Frage nach einem Evangelischen Konzil (Reinhard Frieling, 65–74) zum Beitrag Wolfgang Suckers zur ökumenischen Arbeit seiner eigenen Landeskirche (Cordelia Kopsch, 75–93), zum kirchlichen Engagement in Erziehung und Bildung (Karl Dienst, 94–140) bis zur Aufgabe einer neuen Evangelisierung (Walter Fleischmann-Bisten, 141–154). Persönliche Erinnerungen, Auszüge aus Briefen aus dem Jahr 1946, eine Zeittafel zu seinem Leben, ein Personenregister, die Anschriften der Autorinnen und Autoren und 47 Photos zum Leben Wolfgang Suckers beschließen diese Publikation, die von Geleitworten von Kirchenpräsident Peter Steinacker und Präses Karl-Heinrich Schäfer eröffnet worden war.
Gerade angesichts der heute immer deutlicher werdenden Abbrüche bei der Weitergabe des Glaubens an die jeweils nächste Generation beeindruckt die Analyse, die Wolfgang Sucker in einem Brief vom 26. Juli 1946 [!] formuliert hatte: »Leider erfährt der junge Mensch im Elternhaus nichts mehr von der Notwendigkeit der Selbstbegrenzung; er sieht in den Eltern keine Vorbilder, nach denen er sein Leben gestalten könnte; er fühlt auch keinen Willen über sich, der etwas von ihm verlangt« (174 f.). Unter solchen Bedingungen hat christliche Erziehung zu erfolgen – eine Aufgabe, der sich Sucker in besonderer Weise gewidmet hat. Im schon genannten Brief hatte er hervorgehoben: »Die meisten Menschen, die Jugendarbeit getrieben haben, haben den jungen Menschen trefflich unterhalten; aber es ist meist kein Antrieb für sein Leben davon ausgegangen. … Darum muß heute auch der Jugendkreis einer Gemeinde eine Tatgemeinschaft sein; es müssen ihm bestimmte Gesetze und Aufgaben gegeben werden.« Gerade im 21. Jh. wird Arbeit mit Kindern und Jugendlichen auf diesem Pfad weiterzugehen haben.
Seit dem Untergang des sowjetischen Imperiums und dem Beitritt der früheren DDR zur BRD beschäftigt uns immer wieder in Kirche und Gesellschaft die Frage nach dem Verhältnis zur früheren diktatorischen Macht. Hierzu gibt Sucker mit seinen Lebensentscheidungen wichtige Hilfen: Seine Mitgliedschaft im NS-Lehrerbund, in der NSDAP, der SA und seine Nähe zur DC – zumindest jeweils für kurze Übergangszeiten – zeigen, dass alle Lebensentscheidungen in das Gesamtengagement eines Lebens eingeordnet und von der angezielten Wirkabsicht her beurteilt werden müssen. Sucker jedenfalls wollte Kämpfer für den christlichen Glauben gerade in den Bereichen sein, in denen der ideologische Angriff des Nationalsozialismus besonders intensiv erfolgte. So schrieb der 29-Jährige [!] 1934: »… denn ich stehe hier in einem schweren Kampf um die Geltung des christlichen Glaubens nicht bloss für die deutsche Vergangenheit sondern auch für die Zukunft« (25). Der Zeugenmut, der hier deutlich wird, wird m. E. auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass wir Nachgeborenen sagen müssen, dass die Bereitschaft zu diesem Kampf Unmögliches gewollt hat – »… bei innerer Ablehnung der Nationalsozialisten und ihrer Ideen dennoch gleichzeitig christliche Einflussmöglichkeiten aufrecht erhalten zu wollen …« – und dem »Irrglaube[n] an die Macht des christlichen Wortes in totalitären Milieus« anhing (28). Damit werden zugleich Kriterien deutlich, die auch für die Auseinandersetzung mit Biographien in den Kirchen der früheren DDR hilfreich sind.
Dem Rezensenten sind als Generalsekretär des evangelisch-lutherischen Diasporawerkes, des Martin-Luther-Bundes, zwei Themenkomplexe besonders wichtig: die Standortbestimmung angesichts verschiedener konfessioneller Entscheidungen und die Selbstbestimmung unserer Kirchen in der heutigen Welt.
Wolfgang Sucker hat die Vielfalt reformatorischer Bekenntnistraditionen für überwindbar gehalten: Die Kirchen »müssen sich fragen, ob die Differenzierungen der reformatorischen Bekenntnisse kirchentrennende Bedeutung haben oder nicht. Das reformatorische Grundbekenntnis des vierfachen ›allein‹ … stiftet zwischen den aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen eine unauflösliche und durch nachfolgende Differenzierungen nicht aufhebbare Einheit« (so 1968, 47 f.). Damit hat er – wie Reinhard Frieling richtig hervorhebt (72) – die Leuenberger Konkordie vorweggenommen und die Gemeinschaft reformatorischer Kirchen und Christen antizipiert, die uns heute selbstverständlich ist. Im Rahmen solcher Gemeinschaft mit den reformatorischen Partnern (und hoffentlich in Zukunft weit darüber hinaus!) bleibt aber m. E. das Zeugnis für die eigene spezifische Bekenntniseinsicht – z. B. lutherisch, z. B. reformiert – als Zeugnis für den als wesentlich erkannten Weg hin zu Christus weiterhin gültig und notwendig.
Schon 1953 formulierte Wolfgang Sucker vor der Generalversammlung des Evangelischen Bundes in Nürnberg, »dass wir in die Zerstreuung hineingerufen sind, um infizierend auf die Menschen um uns zu wirken« (59, zum Ereigniszusammenhang auch 147). Die Selbsterkenntnis über die Diaspora-Existenz wird also sogleich verbunden mit einer optimistischen Aufgabenbeschreibung: »Die Christenheit befinde sich ›in Anerkenntnis ihrer Situation als Minderheit zugleich in der Aufgabe einer unerhörten Missionierung, einer neuen missionarischen Strategie‹« (141). Uns Nachgeborenen wird auf diesem Wege die Einsicht vermittelt, dass der »Kreuzestheologie … die heutige Diasporasituation des Christentums in der Welt« entspricht (Reinhard Frieling). So können wir – dieses Kreuz Christi hoffnungsvoll auf uns nehmend – vertrauensvoll in die Zukunft gehen: als einzelne Christinnen und Christen, als Kirchen und kirchliche Zusammenschlüsse, als gesamte und gemeinsame Christenheit.