Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juli/August/2024

Spalte:

727-729

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Görözdi, Zsolt, Roest, Henk de, Tolstaja, Katya, Kirn, Hans-Martin, u. Wolter Rose [Eds.]

Titel/Untertitel:

Roads to Reconciliation Between Groups in Conflict/Theology in a World of Ideologies. Authorization or Critique? The Tenth and Eleventh Conference of Theological Faculties from Central and Eastern Europe and the Netherlands/Zehnte und elfte Konferenz Theologischer Fakultäten aus den Niederlanden und Südostmitteleuropa.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2021. 272 S. = Beihefte zur Ökumenischen Rundschau, 133. Kart. EUR 48,00. ISBN 9783374063987.

Rezensent:

Martin Illert

Diese Dokumentation der Tagungen des »Comenius«-Netzwerkes von 2016 und 2018 zwischen den theologischen Fakultäten der Niederlande und ihren osteuropäischen Partnereinrichtungen behandelt das Thema der Versöhnung von Konflikten religiöser und kultureller Gruppen innerhalb von Staaten und von Kirchen sowie die Herausforderungen der »Theologie in einer Welt der Ideologien«.

In seinem Eröffnungsbeitrag zu den Beiträgen der ersten Konferenz macht der Groninger praktische Theologe Henk de Roest unterschiedliche psychodynamische Phasen aus, die für die Frage eines Verlaufes des Versöhnungsgeschehens relevant sind. Der Kampener Systematiker Dolf te Velde entfaltet sodann am kirchenhistorischen Beispiel der Erarbeitung des Konsensus von Sandomir 1570 den Weg vom Lehrkonflikt zur dogmatischen Verständigung zwischen Reformierten und Lutheranern in der polnisch-litauischen »Rzeczpospolita«. Te Velde hebt dabei hervor, dass politischer Druck des mehrheitlich katholischen Umfeldes als Katalysator des Verständigungsprozesses diente und dass die Verständigung zwischen Lutheranern und Calvinisten mit der Exklusion der Antitrinitarier einherging. In einem dritten Beitrag zur Versöhnungsthematik berichtet der Amsterdamer Kirchenhistoriker Gert von Klinken von einer individuellen Versöhnungsinitiative zwischen Arabern und Israelis aus dem Norden Israels. Die Amsterdamer Religionswissenschaftlerin Leon van den Broeke arbeitet sodann unter systematisch-theologischer Perspektive die versöhnungsrelevanten Dimensionen des reformierten Kirchenregimentes heraus und empfiehlt die reformierte Abendmahlstheologie als einen Schlüssel zur Konfliktlösung. Den ökumenischen Weg »Vom Konflikt zur Gemeinschaft« zeichnet die slowakische lutherische Pfarrerin Eva Guldanová für das gleichnamige römisch-katholisch-lutherische Dokument nach, während die Amsterdamer religionswissenschaftliche Doktorandin Viktória Kóczián und der Amsterdamer Religionswissenschaftler Eduardus van der Borght die Erklärungen des Ökumenischen Rates der Kirchen zur Flüchtlingskrise 2015 und in den Folgejahren analysieren. In diesem wie in den folgenden zeitgeschichtlichen Beiträgen der Ökumenewissenschaftlerin Olga Lukács aus Cluj, die das 2003 begonnene Projekt »Heilung der Erinnerung« für den Raum Transylvaniens vorstellt, der Budapester theologischen Doktorandin Cserpeke Toth, die am Beispiel eines Textes von Miroslav Volf nach dem Verhältnis von Heilung der Erinnerung in der Zeitlichkeit und Eschatologie fragt, und des Amsterdamer Religionswissenschaftlers Daniel Sloots, der die Relevanz des von Hannah Ahrendt entwickelten Konzeptes der Anerkennung untersucht, wird deutlich, dass sich die Analyse von kirchenpolitischen Konfliktlagen in Mittel- und Osteuropa sowie im Mittleren Osten im vorliegenden Band stärker den inneren Spannungen und Widersprüchen der Konfliktparteien zuwendet, als dies in den aktuellen Diskussionen geschieht, die stärker darauf abzielen, den ideologischen Überbau von als menschenrechtsfeindlich ausgemachten politischen und religiösen Akteuren kritisch zu dekonstruieren.

Ein Dilemma prophetischer Rede betont der Budapester Bibelwissenschaftler Jaap Doedens im Eingangsbeitrag der zweiten Konferenz: Einerseits kann der prophetischen Rede eine ideologiekritische Funktion zukommen, zugleich aber kann die ideologiekritische Rede selbst einer ideologischen Prägung unterliegen, die nach Doedens historisch-analytisch und nicht moralisierend eingeordnet werden muss. Mit diesem Einstieg ist ein kritischer Akzent jeglicher Ideologie gegenüber gesetzt, der von der Mehrzahl der nachfolgenden Beiträge fortgeführt wird. So zeichnet der biblische Theologe Elöd-Hodossy-Takács aus Debrecen den Einfluss weltanschaulicher Konjunkturen in den sich wandelnden Selbstverständnissen des Faches der biblischen Archäologie nach, während der Groninger Doktorand Thomas Tops vorschlägt, Gadamers Hermeneutik für eine Exegese fruchtbar zu machen, die ihre eigenen ideologischen Voraussetzungen stärker als zuvor selbstkritisch reflektiert. In einem Beitrag der kirchlichen Zeitgeschichte geht der Amsterdamer Kirchenhistoriker Gert von Klinken sodann dem Einfluss politischer und kultureller Programmatiken auf den Blick reformierter Kirchen Schottlands und der Niederlande auf Juden und Araber in Palästina und Israel zwischen 1948 und 1960 nach. Der Kampener Systematiker Hans Burger debattiert das Verhältnis von Offenbarung und Ideologie bei Bonhoeffer, Kuitert und Bavink, die Amsterdamer Missiologin Dorottya Nagy untersucht die kirchlichen und politischen Diskurse um die Migration seit 2015 auf den prägenden Einfluss der neuen Medien hin und die Amsterdamer Religionswissenschaftlerin Katya Tolstaja zeigt die Interferenz von Religion und Ideologie am Beispiel des Lenin-Mausoleums im post-sowjetischen Russland auf. Im Schlussbeitrag des Bandes betrachtet der Groninger Religionsphilosoph Renée van Rissen das Verhältnis von religiösen Wahrheitsansprüchen und religiösem Pluralismus und empfiehlt, Aussagen religiöser Sprache als interreligiös anschlussfähige »messianische Sprechakte« aufzufassen. Damit findet ein äußerst perspektivreicher Band seinen Abschluss, der, gerade weil er bei den Themen Versöhnung, Nation und Ideologie nicht durchgehend die heute vorherrschenden Gewichtungen vornimmt, überaus beachtenswerte theologische Impulse setzen kann.