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Ausgabe:

Juli/August/2024

Spalte:

699-700

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Kistler, Sebastian, Puzio, Anna, Riedl, Anna-Maria, u. Werner Veith [Hgg.]

Titel/Untertitel:

Digitale Transformationen der Gesellschaft. Sozialethische Perspektiven auf den technologischen Wandel.

Verlag:

Münster: Aschendorff 2023. 217 S. = Forum Sozialethik, 24. Kart. EUR 29,90. ISBN 9783402106587.

Rezensent:

Frederike van Oorschot

Der Band dokumentiert die Jahrestagung 2021 des Forum Sozialethik, einem Netzwerk für akademisch junge Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen der Sozialethik. Unter dem Tagungsthema »Der Mensch zwischen Technik und Natur« sammelte die Tagung durch einen offenen Call for Papers sehr unterschiedliche Perspektiven auf das Tagungsthema, die für den Band in fünf Themenbereiche zusammengefasst wurden.

Der erste thematische Block widmet sich dem Verhältnis von Digitalisierung und Gesellschaft – zum einen grundlegend und zum anderen im Blick auf die darin erkennbaren Transformationen. Im Fokus stehen dabei mögliche Zukunftsszenarien als Gegenstand der Sozialethik. Dabei geht es erstens um das Verhältnis von Natur und Technik hinsichtlich der Frage nach der Möglichkeit des Privaten in der digitalen Gesellschaft, das Ivo Frankenreiter im Anschluss an Nassehis Beschreibung der gesellschaftlichen Muster mit Blick auf die Privatheit informationeller Selbstbestimmung entfaltet. Zweitens diskutiert Sebastian Kistler das Verhältnis von Digitalisierung und Wachstumsökonomie und erkennt in digitalen Technologien (auch) mögliche Alternativen zu »Wachstumsimperativen« (46). Drittens beleuchtet Simon Reiners das Emanzipationspotential im Wandel der Arbeitswelt in einer Diskussion zwischen Adornos Dialektik des Fortschritts und Donna Haraways Sympoiesis.

Der zweite thematische Block verhandelt das Verhältnis von Körper und Technologie. Hier reflektiert zum einen Anna Puzio die theologisch-ethischen Implikationen der Körperoptimierung, wobei der Technik ein genuiner Beitrag in der Konstitution und dem Verständnis von Körper zugesprochen wird. Zum anderen analysiert Caroline Helmus Bilder des Menschen »als Produkt und Produzent« (102), die Enhancement-Technologien im Kontext des Transhumanismus zugrunde liegen.

Die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Demokratie stellt der dritte Themenblock in den Fokus. Hier nimmt zum einen Alexandra Palkowitsch die Chancen und Grenzen digitaler Demokratie nach dem Konzept der embedded democracy angesichts der Verschiebungen im Öffentlichkeitsbegriff in den Blick. Zum anderen konturiert Sebastian Dietz den Begriff des digitalen Subjekts als neue eigenständig zu denkende Form des Subjekts, das zur Analyse von Machtverhältnissen im digitalen politischen Raum beitragen kann.

Im vierten Themenblock finden sich vier anwendungsbezogene Reflexionen von Technologien Künstlicher Intelligenz (KI). In den Blick kommt zum einen der Einsatz von Künstlicher Intelligenz im Kontext der Pflege: Hier fokussiert Eva Hänselmann auf die Potentiale digitaler Pflegeplanung mit Hilfe von mobilen Endgeräten. Zum anderen wird der Einsatz von KI-gestützten Waffensystemen diskutiert. Warum die Entscheidung über Leben und Tod nicht einem Waffensystem überlassen sein soll und inwiefern diese Systeme keine im engen Sinn autonome Technologie, sondern ein autoregulatives System bilden, führt Nicole Kunkel aus. Timo Greger reflektiert die Herausforderungen der Verantwortungsdiffusion zwischen Mensch und Maschine im Einsatz autoregulativer Waffensysteme.

Der letzte Themenblock widmet sich den Chancen digital gestützter Didaktik in der universitären Lehre (Hanna Bleher, Max Tretter und Maike Tischendorf). Neben dem Einblick in digitale Lehr- und Lerneinheiten wird das Digital Lab vorgestellt: Dieses didaktische Konzept forschenden Lernens dient der partizipativen Entwicklung von Digitalkompetenzen bei Studierenden.

Der Band ist ein Sammelband im besten Sinne des Wortes: Er sammelt Perspektiven auf ein sich derzeit schnell entwickelndes Forschungsfeld. Durch den offenen Call for Papers bilden die Beiträge daher den Herausgebern und Herausgeberinnen zufolge einen Spiegel der Themen und Debatten zum Tagungsthema. Da die Autoren und Autorinnen alle am Anfang ihres akademischen Wirkens stehen, ermöglicht er zugleich einen Ausblick auf diejenigen Fragen der Sozialethik, Wirtschaftsethik, politischen Ethik, Friedensethik, aber auch der Technikanthropologie und Didaktik, die gegenwärtig und zukünftig im Fokus der Forschung stehen. Der Band ist daher besonders geeignet, einen Eindruck über die aktuellen Forschungen im Umfeld von Digitalisierungstechnologien und dem digitalen Wandel in der Sozialethik zu geben oder vertieften Einblick in einzelne Forschungsfelder zu erhalten.