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Ausgabe:

Juli/August/2024

Spalte:

652-655

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Gnilka, Christian [Hg.]

Titel/Untertitel:

Die Methode der Kirchenväter im Umgang mit der antiken Kultur. Bd. II. Kultur und Conversion.

Verlag:

Basel: Schwabe Verlag 1993. 201 S. = Chrêsis. Geb. CHF 42,00. ISBN 9783796509513.

Rezensent:

Julia Beier

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Gnilka, Christian [Hg.]: Die Methode der Kirchenväter im Umgang mit der antiken Kultur. Bd. III. Der rechte Gebrauch im Spiegel des falschen. Basel: Schwabe Verlag 2023. 223 S. = Chrêsis. Geb. CHF 48,00. ISBN 9783796547508.


Die hier zu besprechenden Arbeiten stammen aus der Feder des inzwischen emeritierten Ordinarius für Latinistik an der Universität Münster, Christian Gnilka. Die Bände II und III der insgesamt elf Bände umfassenden und von G. herausgegebenen Reihe »Chrêsis« bilden zusammen mit dem ersten Band eine Trias. Daher soll auch ein Blick auf den hier ansonsten nicht zu besprechenden Auftakt der Reihe mit dem Titel »Der Begriff des rechten Gebrauchs« geworfen werden, der bereits 1984 erschien, jedoch im Jahr 2012 eine umfangreiche Überarbeitung erfuhr. Ich beziehe mich in meinen Ausführungen zu Band I allerdings auf die erste Ausgabe, um auf diese Weise das den drei Bänden zu Grunde liegende Ursprungskonzept besser nachzeichnen zu können.

Das Vorwort verfasste Johannes Dörmann, der damalige Leiter des Institutes für Missionswissenschaft der Universität Münster, unter dessen Mitwirkung das Buch entstand. Damit wird bereits die Stoßrichtung des Bandes klar, die auch dem zweiten und dritten Teilband erhalten bleibt, obwohl diese nicht mehr in Zusammenarbeit mit dem Institut für Missionswissenschaft erschienen sind. Eine Begründung dafür fehlt allerdings nicht nur hier, sondern auch in den beiden anderen Bänden; es bleibt bei einer Feststellung dieses Umstands. Jedoch betont G. die Bedeutung seines zweiten Bandes für die Missionswissenschaft auch unabhängig von dieser Zusammenarbeit (7). Dies gilt im Übrigen auch für den dritten Band (9).

Das Leitprinzip im ersten Band – und in der Folge auch im zweiten und dritten Buch – stellte die These des ebenfalls in Münster wirkenden Professors für Indologie, Paul Hacker, in Bezug auf χρῆσις im Sinne des »Gebrauchs« paganen Kulturguts als hermeneutisches Prinzip in der Alten Kirche (Bd. I, 26 f.) dar. Dieses Modell wiederum wird als mögliches Programm für »die moderne Mission in ihrem Umgang mit den Kulturen Afrikas und Asiens« (6) betrachtet. G.s Thema wird schnell klar: Dörmann beschreibt schon in seiner Einleitung das Verhältnis der paganen Antike zum Christentum als »das Ergebnis bewußt gestaltender, umformender Arbeit« – also als gezielten, nicht zufälligen Prozess (12 f.). Damit wird die Christianisierung ungeachtet der dramatischen Folgen für die betroffenen Menschen geradezu idealisiert und als Vorgang einer »wunderbaren geistigen Transformation« beschrieben (12).

Im Fokus dieser Rezension stehen aber nun die Bände II und III. Band II (»Kultur und Conversion«) kommt ohne eine Einleitung im eigentlichen Sinne aus. Stattdessen hat das erste Kapitel (»Die Frage des Pilatus«, 9–18) einen einführenden Charakter. Anhand verschiedener Autoren (z. B. Minucius Felix, Varro und Cicero) strebt G. den Nachweis an, dass die pagane Antike in Bezug auf einen religiösen Wahrheitsanspruch eine indifferente Grundhaltung eingenommen habe, die das Christentum jedoch eindeutig beantworten könne.

Das eigentliche Leitthema wird in Kapitel B »Die vielen Wege und der Eine«, ausgehend von einer Äußerung des Symmachus (vgl. Symm. rel 3,10) entfaltet. Gemäß dieser könnten verschiedene Völker auf unterschiedliche Weise, nämlich im Glauben an verschiedene Götter, zur Wahrheit gelangen. Mithilfe einiger Kirchenväter-Zitate sowie beispielsweise Verlautbarungen des Zweiten Vatikanischen Konzils widerspricht G. dieser Haltung und entwickelt so die titelgebende These des »einen« Weges zur Wahrheit durch das Christentum (19–61). Die Titel der weiteren Kapitel verraten jedoch bereits, dass der zweite Band inhaltlich in eine ähnliche Richtung geht wie der erste: Sie lauten »C. Bewahrung und Veränderung« (63–91), »D. Kultur und Conversion« (93–127), »E. Das Prinzip der Reinigung« (129–176). Wieder steht also die gezielte Verdrängung des Paganen durch das Christentum im Fokus.

Leider sind einige Formulierungen aus heutiger Sicht problematisch, da eine Distanzierung von einer auch gewaltsam durchgesetzten Christianisierung in der Kirchengeschichte in Bezug auf ein mögliches Konzept für die Gegenwart fehlt (vgl. z. B. 151). Diese Passagen sollen hier jedoch nicht im Einzelnen aufgeführt werden (vgl. dazu die Rezension von Markus Vinzent (ZKG 106/1, 4. Folge XLIV, 1995, 133–137).

Im letzten Kapitel F (»Die theologische Grundlage«) fasst G. zusammen: »Die Methode der Väter beschränkt sich nicht auf das Prinzip der Reinigung […]. Eine Kultur wird nicht transformiert allein dadurch, daß gewisse Teile zurückgewiesen, andere geduldet werden. Es muß da eine schöpferische Kraft mitwirken, welche die keimhaften Elemente des Guten, Wahren und Schönen nicht nur aussondert, sondern auch aufnimmt.« (177) Dass ein solcher christlicher Wahrheitsanspruch trotz der konstatierten »Aufnahme« nichtchristlicher Inhalte implizit den Wahrheitsanspruch anderer Religionen negiert, liegt auf der Hand.

Band III greift mit dem Titel »Der rechte Gebrauch im Spiegel des falschen« den Leitbegriff aller drei Arbeiten nochmals auf. In der Einleitung (Kapitel A, 11–16) führt G. zum schon im ersten Band thematisierten »Altersbeweis« (πρεσβύτερον κρεῖττον – »das Ältere ist das Bessere«, vgl. z. B. Peter Pilhofer: Presbyteron Kreitton. Der Altersbeweis der jüdischen und christlichen Apologeten und seine Vorgeschichte, Tübingen 1990) hin, indem er sich von Untersuchungen abgrenzt, die seit den ersten beiden Bänden zu diesem Forschungsfeld entstanden sind. Genannt seien hier exemplarisch, neben derjenigen von Peter Pilhofer, die Arbeiten von Christoph Riedweg und Wolfram Kinzig. So habe G. in der bisherigen Forschung »das Licht, das der Altersbeweis auf das Verhältnis der Kirche zur Kultur der Antike und damit zugleich auf ihre Methode des Umgangs mit dieser Kultur wirft«, vermisst (16).

Der »Altersbeweis« (Kapitel B) bzw. »Die Bedeutung des Altersbeweises« (Kapitel D) nimmt zwei große Kapitel ein (17–94; 106–125). G. führt in Kapitel B aus, dass dieses Prinzip über Jahrhunderte hinweg bis in die Neuzeit sowohl von paganer als auch christlicher Seite angewandt worden sei, um Wahrheitsansprüche geltend zu machen. Es schließt mit einem Satz, der an den Duktus der vorherigen Bände erinnert: »Gerade weil wir heute den Altersbeweis in seiner Unzulänglichkeit […] durchschauen können, vermögen wir ihn abzulösen von seinem tieferen geistlichen Grund, wie er uns umgekehrt aber auch hinleitet zu diesem Grund: zum absoluten Wahrheitsanspruch der Kirche, ihrer daraus sich ergebenden Sicht jeder nichtchristlichen Kultur, ihrer Entschlossenheit zur Befreiung, Aufhellung, Heilung der dort eingekapselten Elemente der Wahrheit.« (94). Zur Veranschaulichung des Wahrheitsanspruchs dient G. in Kapitel C »Clemens Alexandrinus und die Philosophie« (95–104) eine Arbeit von Salvatore R. C. Lilla, der bei Clemens eine Synthese zwischen griechischer Philosophie und Christentum angelegt gesehen habe. Stattdessen versucht G. zu zeigen, dass Clemens die griechische Philosophie gemäß dem Prinzip der Chrêsis betrachtet habe. Ausgehend von der »Unzulänglichkeit« (s.o.) der Begrifflichkeit des Altersbeweises entwickelt G. in Kapitel D den Gedanken der Chrêsis erneut, der durch den Altersbeweis ein »indirektes Regelwerk des rechten Gebrauchs« (109) liefere. Die Chrêsis bestehe darin, jene Elemente, die nicht der christlichen Wahrheit entsprächen, aufzuspüren und zu entfernen (111).

Im Kapitel E »Paradigmenwechsel: Chrêsis statt Mimesis« (126–129) schärft G. den Begriff der Chrêsis, indem er beispielsweise den Gebrauch der platonischen Philosophie durch die Kirchenväter darstellt, der sich nicht durch eine reine Nachahmung (Mimesis), sondern durch eine Chrêsis »von der Warte ihres Glaubenssystems aus« (127) auszeichne.

Anhand von Tertullians Schriften will Gnilka in Kapitel F »Tertullian über die Notwendigkeit der Chrêsis« (130–138) den Nachweis erbringen, dass dieser die Auseinandersetzung mit der griechischen Philosophie im Sinne der Chrêsis für »unvermeidlich« (137) gehalten habe, »weil sie allesamt Elemente der Wahrheit mit sich führen« (ebd.).

In Abgrenzung von einer Formulierung des paganen Rhetoren Libanios stellt Gnilka im Kapitel H »Gebrauchen und richtig gebrauchen« (166–169) dar, dass Chrêsis nicht »Gebrauch« im Sinne einer bloßen Nutzung meine, sondern stets »die schöpferische, gestaltende Kraft, die sich aus dem missionarischen Wesen der Religion herleitet« (167), im Hintergrund stehen müsse.

In seinem »Rückblick« zu Kapitel G »Mißachtung der Chrêsis: die Folgen« (139–165) leitet G. nicht nur die Fähigkeit zur Chrêsis von Clemens Alexandrinus, Origenes und anderen ab, die er im Verlauf seiner Untersuchung zitiert, sondern auch die »entschiedene Abkehr vom Synkretismus« (163). Zwar bezieht der Autor diese und ähnliche Ausführungen vorrangig auf die Zeugnisse der Kirchengeschichte in ihrer Zeit, aber er schließt die Arbeit auch mit einem problematischen Ausblick ab: Gnilka zitiert Kardinal John Henry Newman: »In der Fülle der Zeit waren Judentum und Heidentum zunichte geworden. Das äußere Fachwerk, das die lebendige Wahrheit in sich barg und zugleich mitteilte, war nie zur Fortdauer bestimmt […]« (164). Von dieser Aussage grenzt er sich nicht ab, sondern resümiert: »Man wird diesen Eindruck nicht unwahr nennen dürfen […]« (ebd.).

Im Anhang, der auch ein reichhaltiges und nützliches Stellen-, Sach- und Personenregister aufweist, finden sich noch weitere Textstellen aus frühchristlicher Zeit, die nicht inhaltlich ausgewertet werden, da dies partiell schon im Haupttext erfolgt sei (172). Teilweise handelt es sich aber auch um zusätzliches Material, das sowohl in seiner Originalsprache als auch in Übersetzung abgedruckt wird und inhaltlich insbesondere die Thematik des Altersbeweises berührt.

Resümierend lässt sich über die beiden Bände sagen, dass sie das Bild der Umformung von der paganen zur christlichen Kultur durch eine philologisch versierte Untersuchung schärfen. Die daraus gezogenen Schlüsse in Bezug auf den Wahrheitsanspruch des Christentums, die an vielen Stellen nicht zweifelsfrei auf die Vergangenheit zu beziehen sind, sondern von einer exklusivistischen Perspektive des Autors zeugen, erscheinen auch vor dem Hintergrund eines Missionsgedankens aus heutiger Sicht problematisch.