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Ausgabe:

Juli/August/2024

Spalte:

644-645

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Ostmeyer, Karl-Heinrich

Titel/Untertitel:

Die Briefe des Petrus und des Judas.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht (Neukirchener Theologie) 2021. 211 S. = Die Botschaft des Neuen Testaments. Kart. EUR 25,00. ISBN 9783788735098.

Rezensent:

Wolfgang Grünstäudl

Diese handliche und sehr gut zugängliche Kommentierung dreier literarisch wie inhaltlich miteinander verknüpfter neutestamentlicher Briefe richtet sich an eine breitere Leserschaft, wobei die theologisch-applikative Schwerpunktsetzung auf einem profunden exegetischen Fundament ruht. Karl-Heinrich Ostmeyer stellt sich u. a. die »Aufgabe nachzuweisen, dass der Judas- und der zweite Petrusbrief zurecht im neutestamentlichen Kanon stehen« (7), was für 1Petr ohnehin unbestritten ist. Mit dieser Aufgabenbeschreibung ist – gewissermaßen im äußersten Kontrast zu Käsemanns Urteil über 2Petr – ein affirmativer Grundton gesetzt, der die gesamte Kommentierung durchzieht.

Der Löwenanteil der knappen Kommentierung entfällt naturgemäß auf 1Petr (15–104), während 2Petr (105–159) und Jud (161–199) kürzere Abschnitte gewidmet sind. Der versweisen Auslegung steht jeweils eine kurze Einleitung voran. Abschnittsweise Rekapitulationen sowie Zusammenfassungen der Auslegung der einzelnen Briefe (1Petr: 97–104; 2Petr: 151–157; Jud: 195–199; zu 2Petr findet sich 158 f. zudem ein applikativer Epilog) ermöglichen ein schnelles Erfassen der zentralen inhaltlichen Schwerpunkte. Neben Bibliographie (201–203) und Abkürzungsverzeichnis (204–206) ist dem Band zudem ein hilfreiches Schlagwortregister (207–211) beigegeben.

Den ersten Petrusbrief (1Petr) liest der Vf. als ein nach dem Tod des Petrus verfasstes pseudepigraphes Schreiben, wobei Sprachkompetenz und Traditionsbeherrschung des realen Verfassers – bei Ablehnung der Sekretärshypothese (18) – »nicht einmal im imaginierten Stil eines Fischers aus Galiläa« (19) einordenbar seien und somit zur »Offenheit für eine mehrfache Autorenzuschreibung« (ebd.) einlüden. Auf Adressatenseite wird diese »doppelte Rezeption« (ebd.) recht optimistisch auf zwei unterschiedliche Adressatengruppen verteilt (20: Heidenchristen lesen 1Petr orthonym, Judenchristen pseudonym). Datiert wird das Schreiben zum einen im Anschluss an Doering und Vahrenhorst in ein »Zeitfenster von 40 Jahren (70–110 n. Chr.)« (19), zum anderen »konkret in der Regierungszeit des Domitian (81–96 n. Chr.)« (18). In geografischer Hinsicht scheint angenommen zu werden, dass die Ortsangaben in 1Petr 1,1 die literarische Fiktion durchbrechen und den realen Zielbereich des Briefes beschreiben (23). Für den vieldiskutierten Schlussgruß (1Petr 5,13: ἡ ἐν Βαβυλῶνι συνεκλεκτή) gelte: »Möglicherweise soll Rom als mit Babylon identifizierter konkreter Absendeort des Briefes erscheinen, wichtiger aber ist dem Autor die theologische Komponente: Babylon ist überall in der Wel.t« (95) Inhaltlich liege der Schwerpunkt auf der Eröffnung einer universalen Perspektive (bes. 98–101) sowie auf dem Trost angesichts der Schmähung »wegen des Namens Christi« (1Petr 4,14), wobei 1Petr aber noch keine »systematische Verfolgungen« (83) im Blick habe.

Den zweiten Petrusbrief verortet der Vf. mit der »Neuen Perspektive auf 2Petr« (Frey) in die Mitte des zweiten Jahrhunderts (108.124.151), wobei allerdings nicht die Abhängigkeit von der Apokalypse des Petrus von zentraler Bedeutung ist, sondern vielmehr die Erinnerung an die Bar-Kochba-Revolte. 2Petr gehöre in ein »Zeitfenster, in dem die Niederschlagung des Aufstands (132–135 n. Chr.) im Bewusstsein als abschreckendes Beispiel noch präsent war, jedoch der Aufrührer selbst kein Verführungspotential mehr in sich barg« (108). Mit der vermuteten kritischen Bezugnahme auf Bar Kochba gewinnt 2Petr eine innovative zeitgeschichtliche Hintergrundfolie, die die Selbstvorstellung in 2Petr 1,1 (Συμεών für Petrus im Neuen Testament sonst nur noch Apg 15,14), den Verweis auf das ἀνατέλλειν des φοσφόρος in 2Petr 1,19 (als Referenz auf Num 24,17), den Rückblick auf ψευδοπροφῆται in 2Petr 2,1 und vor allem das gegenüber Jud 11 ausgebaute Bileamsbeispiel in 2Petr 2,15 f. kohärent miteinander verbindet.

Der Judasbrief biete »[a]ufgrund seiner Kürze […] zu wenig Anhaltspunkte für eine sichere räumliche und zeitliche Verortung« (164), für den jüdischen Autor sei jedoch aufgrund des völligen Fehlens von Konjunktiven Aramäisch als Muttersprache wahrscheinlich (163). Inhaltliche Schwerpunkte bilden die in Jud 1 ausgedrückte »größtmögliche Nähe zu Jesus von Nazareth« (166), die mit der Präexistenzaussage in Jud 5 korreliert (der Vf. folgt mit NA28 der Lesart Ἰησοῦς), sowie ein »Motivkranz« (196) mit Parallelen zur Josefsnovelle (vgl. den Exkurs 190–192), auf den der Vf. in innovativer, aber im Changieren zwischen Ein- und Vieldeutigkeit nicht ganz überzeugender Weise (195 f.) aufmerksam macht.

Stärke und Schwäche der anregenden Kommentierung fallen in eins: Die konsequente Fokussierung auf die mögliche positive »Botschaft« der drei ausgelegten Texte für die Gegenwart in Verbund mit neuen und beachtenswerten Kontextualisierungsvorschlägen (Jud: Josefsnovelle, 2Petr: Bar Kochba) schafft eine willkommene Brücke zur Applikation oft übersehener Texte in Schule, Gemeindearbeit und Theologie. Andererseits wird gerade in theologisch-hermeneutischer Perspektive (ohne in anachronistische Fehlschlüsse zu verfallen!) die nötige inhaltlich kritische Auseinandersetzung mit den polemischsten Texten des Neuen Testaments (Jud, 2Petr) wie auch der zwar breit rezipierten, aber deshalb nicht unproblematischen Gehorsams- und Leidenskonzeption des 1Petr nicht vergessen werden dürfen.