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Ausgabe:

Juli/August/2024

Spalte:

642-644

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Kirfel, Johannes

Titel/Untertitel:

Reichtum und Reich Gottes. Struktur, Komposition und Intention von Lukas 16.

Verlag:

Stuttgart: W. Kohlhammer Verlag 2022. 435 S. = Beiträge zur Wissenschaft vom Alten und Neuen Testament, 233. Kart. EUR 99,00. ISBN 9783170410589.

Rezensent:

Hans-Georg Gradl

Der inhaltliche Zusammenhalt von Lk 16 wird von jeher in der Forschung hitzig diskutiert. Zwei Parabeln – vom ungerechten Verwalter (Lk 16,1–8) und vom reichen Mann und armen Lazarus (Lk 16,19–31) – rahmen Worte Jesu an die Jünger und an die Pharisäer. Die thematische Verbindung lässt sich nicht leicht nachvollziehen. Worte über den ungerechten Mammon (Lk 16,9–13) stehen neben Aussagen über das Gesetz und die Propheten (Lk 16,15–17) und über den Ehebruch (Lk 16,18). Unterschiedliche Gattungen, je andere Adressaten und verschiedene Themen scheinen hier nebeneinander platziert worden zu sein. Die Gesamtkomposition wirkt merkwürdig disparat, so dass man – wie Hans-Josef Klauck formulierte – »fast am redaktionellen Geschick des Lukas zweifeln« könnte.

Diese Studie von Johannes Kirfel, die im Wintersemester 2020/21 an der geisteswissenschaftlichen Fakultät der Universität Duisburg-Essen als Dissertation angenommen und von Ulrich Busse betreut wurde, verfolgt das Ziel, »den Sinn der Aussagen des 16. Kapitels zu erfassen und zu prüfen, ob eine stringente Gedankenführung und Argumentation im 16. Kapitel gegeben ist« (31).

Schon der Titel der Studie – »Reichtum und Reich Gottes« – gibt Auskunft über den Lösungsvorschlag K.s: Das Lukasevangelium wende sich an eine begüterte Leserschaft, die an die materiellen Konsequenzen der Nachfolge und an die sozialen Inhalte der Reich-Gottes-Botschaft Jesu erinnert werde. Das Thema Besitzverzicht gewährleiste den thematischen Zusammenhalt von Lk 16.

Das mag für die beiden Parabeln und das Wort Jesu an die Jünger über den ungerechten Mammon gelten. Eine offene Frage aber bleibt dennoch, wie sich Lk 16,15–17 und Lk 16,18 in den thematischen Duktus des Kapitels einfügen lassen: Die Worte zur Gültigkeit des Gesetzes und zum Ehebruch wirken merkwürdig fremd und thematisch deplatziert.

Die Studie umfasst acht Kapitel. Nach einer Einleitung (11–31), die wesentliche – in der Forschungsgeschichte geäußerte – Zweifel an der Kohärenz von Lk 16 beschreibt, stellt das zweite Kapitel (33–41) die Zielsetzung und Methodik der Untersuchung vor. Weniger interessiert zeigt sich K. dabei »an der Historie des Textes bzw. einzelner Verse« (33). Es soll nicht um eine quellenkritische oder traditionsgeschichtliche Fragestellung gehen, sondern um eine synchrone Wahrnehmung von Lk 16 und den Nachweis, »dass der Text einen stringenten Gedankengang bietet, der von den Rezipienten zur Zeit seiner Entstehung als solcher auch wahrgenommen werden konnte« (33). K. will »das Kommunikationsgeschehen zwischen Autor und Rezipient in den Blick« (41) nehmen. Im Fokus steht die Suche nach dem »impliziten Leser« (40), den der Text ausbildet und voraussetzt und der sich über die Analyse der Syntax, der Semantik und der narrativen Strukturen des Textes finden lässt.

Das dritte Kapitel (43–51) wendet sich der Gliederung von Lk 16 zu und erkennt darin einen – je nach Verortung von Lk 16,14 – chiastischen Aufbau bzw. eine Ringkomposition um den »Gelenkvers« (Lk 16,14), der die Pharisäer als geldgierig präsentiert.

Das vierte Kapitel (53–80) geht der Frage nach den »textimmanenten Adressaten« (53) von Lk 16 nach und beschreibt – in einer auf das gesamte lukanische Doppelwerk ausgerichteten Analyse – die Darstellung und leserorientierte Funktion der Jünger (für Lk 16, 1–13) bzw. der Pharisäer (für Lk 16,14–31). Sowohl Jünger wie Pharisäer werden »als Identifikationsfiguren für den jeweiligen Leser« begriffen, »der sich selbst im Spiegel dieser erzählten Figuren erkennen soll« (80).

Das fünfte (81–166) und das sechste (167–376) Kapitel widmen sich der »Rede Jesu an die Jünger« (Lk 16,1–13) bzw. der »Rede Jesu an die Pharisäer« (Lk 16,14–31). Die Textanalyse ist so eingängig wie umfassend: An die Untersuchung der syntaktischen Bezüge und der narrativen Strukturen schließt sich die breitflächige Analyse der inhaltsreichen Semantik an. Eigens hervorzuheben sind die gelungene Einordnung der Texte in ihre Entstehungszeit und die Analyse der Begriffe und Motive mit Blick auf frühjüdische Schriften und die Literatur der griechisch-römischen Antike.

Das siebte Kapitel (377–393) bietet eine Synthese und unterstreicht die These der Studie, dass Lk 16 »auf ein Thema bezogen ist und (…) einen einheitlichen Argumentationsgang darstellt« (377). Der thematische Faden, der Lk 16 durchzieht, sei die Frage nach dem »richtigen Umgang mit Geld und Vermögen angesichts der durch Jesu Botschaft die Menschen herausfordernden eschatischen Entscheidungssituation« (387). Die Loslösung vom Mammon werde mit Verweis auf das Gesetz und die Propheten begründet. Auch das Thema Ehebruch würde sich in diesen thematischen Duktus einfügen: »Geldliebe und Streben nach Vermögen« seien »gleichzusetzen mit Ehebruch und damit als Missachtung des Gesetzes zu bewerten« (391).

Das achte Kapitel (395–400) hebt die aktuelle Relevanz der lukanischen Aufforderung hervor, sich von Reichtum und Besitz in der Nachfolge zu lösen: Damals wie heute geht es »um eine grundlegende und nachhaltige Veränderung der Situation der Armen« (400).

Nun ist die Fragestellung der Studie nicht neu und der dargebotene Lösungsvorschlag zur thematischen Kohärenzsteigerung von Lk 16 nicht gänzlich überzeugend. Nach eingehender Analyse zahlreicher Hintergrundtexte bringt K. den Ehebruch mit Habgier in Verbindung und stellt so einen thematischen Bezug von Lk 16,18 zu den Parabeln und den Worten Jesu über den ungerechten Mammon her. Dennoch lässt sich dieser thematische Konnex nur indirekt, zwischen den Zeilen und ohne eine – sehr wünschenswerte – Verdeutlichung im Text selbst herstellen. Besonders fraglich ist zudem, ob die anzunehmende reichsrömische Leserschaft diese Verbindungslinie zwischen Geld, Habgier, Gesetz, Propheten und Ehebruch gezogen und den Text als thematisch kohärente Einheit wahrgenommen hat. Gerade mit Blick auf die anderen synoptischen Verarbeitungen des traditionsgeschichtlich bereits vorliegenden Materials lässt sich ein kompositorischer Hiatus in Lk 16 nicht ganz von der Hand weisen. Lk 16,14–18 bleibt allenfalls lose mit dem Kontext von Lk 16 verbunden: Den Zusammenhalt scheint – wenn überhaupt – eher die Charakterisierung der Pharisäer als »geldgierig« zu gewährleisten.

Die eigentliche Stärke der Studie besteht aber womöglich gar nicht im Nachweis einer vollends nachvollziehbaren thematischen Kohärenz von Lk 16. Zu allgemein wirken dafür auch die beiden Begriffe »Reichtum« und »Reich Gottes«, die zu Lk 16,18 kaum einen thematischen Bezug aufweisen und für den Rest des Kapitels einen doch sehr allgemeinen thematischen Rahmen bereitstellen; gerade im Mittelteil des Lukasevangeliums lässt sich kaum ein Text finden, der nicht in einen Zusammenhang mit der Reich-Gottes-Botschaft Jesu gebracht werden könnte.

Der eigentliche Beitrag der Untersuchung besteht in der eingehenden und methodisch sorgsam durchgeführten Auslegung von Lk 16. Hier gleicht die Studie – nach Inhalt und Facettenreichtum, Textkonzentration und exegetischer Versiertheit – einem großen und guten Kommentar zu Lk 16. Eigens hervorzuheben ist dabei die jeweils sehr auf Hintergrundtexte ausgerichtete semantische Analyse, die vom exegetischen Können und von der beeindruckenden Quellenkenntnis des Verfassers zeugt. Hinter der These zur kompositorischen Gestaltung und zur thematischen Einheitlichkeit von Lk 16 bleibt ein Fragezeichen. Hinter die exegetische Textdurchdringung von Lk 16 aber darf ein deutliches und zur Verwendung der Studie einladendes Ausrufezeichen gesetzt werden.