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Ausgabe:

Juli/August/2024

Spalte:

636-638

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Breuer, Saskia, Paul, Clarissa, u. Eckart David Schmidt [Hgg.]

Titel/Untertitel:

Konflikte und Krisen im Neuen Testament und ihre Bewältigungsstrategien.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2023. VI, 287 S. = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament 2. Reihe, 587. Kart. EUR 99,00. ISBN 9783161614422.

Rezensent:

Stefan Krauter

Der Band geht auf eine Tagung der Arbeitsgemeinschaft neutestamentlicher Assistenten und Assistentinnen an theologischen Fakultäten im Jahr 2019 zurück und versammelt acht Beiträge von »Nachwuchwissenschaftlern« und eine thematische Einführung des emeritierten Mainzer Neutestamentlers Friedrich Wilhelm Horn. Alle umkreisen das im Titel genannte Thema Konflikte, Krisen und Strategien zu ihrer Bewältigung.

Friedrich Wilhelm Horn schlägt in seinem Beitrag »Konflikte und Krisen – Geburtshelfer frühchristlicher Theologie« (9–30) den Bogen zu moderner Konfliktforschung. Er stellt an mehreren Beispielen dar, dass das entstehende Christentum von Anfang an von Konflikten geprägt ist, und stellt die These auf, dass konflikthafte Auseinandersetzungen konstitutiv zum Selbstfindungsprozess dieser neuen Religion gehörten. Nüchtern stellt er fest, dass sich in den Texten des Neuen Testaments kaum Konfliktbewältigungsstrategien finden lassen, das Bild vielmehr von schroffer gegenseitiger Ablehnung geprägt ist. Er plädiert dafür, dass Exegese versucht, soweit möglich, beide Seiten in diesen Konflikten zu rekonstruieren und sachlich fair zu würdigen.

Einen etwas anderen Zugang zum Thema wählt Matthias Berghorn im einzigen englischsprachigen Beitrag »The Kings and the Messiah: A Contribution to the Conflict History in the Gospel of Matthew« (31–58). Er zeigt auf, wie in Mt 1,1–4,16 mit Hilfe alttestamentlicher Anspielungen Jesus als idealer König den faktischen Machthabern, Herodes und den jüdischen Autoritäten, gegenübergestellt wird. Es geht ihm also – anders als Horn – weniger um aktuelle Konflikte, als um die literarische Gestaltung eines Konflikts.

Martin Bauspieß »Das letzte Wort Jesu (Mk 15,34). Das Markusevangelium als Konfliktgeschichte« (59–75) schlägt einen dezidiert theologischen Weg ein: Er versteht das Markusevangelium als Geschichte der vielfältigen Konflikte Jesu, die in dem »eigentlichen« Konflikt am Kreuz kulminieren und gelöst werden. Um dies zu zeigen, bietet er eine eindringliche Interpretation des Zitats von Ps 22,2 in der markinischen Kreuzigungsszene.

Der längste Beitrag ist »ἔκραζεν υἱὲ Δαυίδ, ἐλέησόν με. Krise und Krisenbewältigung in den lukanischen Heilungserzählungen« von Clarissa Paul (77–132). Sie will in den lukanischen Heilungserzählungen Krankheit als Krise und entsprechend Heilung als aktive Strategie zur Krisenbewältigung verstehen. Dazu analysiert sie die physischen, sozialen, finanziellen und religiösen Aspekte der jeweiligen Krankheiten. Dieser spannende Ansatz verliert dadurch, dass es der Autorin nicht durchgehend gelingt, den Fokus zu halten. Recht lange Abschnitte des Beitrages sammeln zahlreiche Informationen rund um die besprochenen Perikopen, ohne dass der innere Zusammenhang mit dem Thema wirklich klar würde.

Nils Neumann wendet sich in seinem Beitrag »Soziale Konflikte und Errettung in den lukanischen Schriften« (133–156) wieder eher den in Horns Einführung aufgeworfenen Fragestellungen zu. Er zeigt auf, dass soziale und ökonomische Konflikte in der Gruppierung der Christusgläubigen im Lukasevangelium in Gestalt der Figurenkonstellation des »dramatischen Dreiecks« bearbeitet werden. Gott bzw. die Botschaft Jesu begegnen jeweils zwei Akteuren, die in bestimmten Hinsichten einander diametral gegenüberstehen, z. B. der Frau, die Jesus salbt, und Simon, der ihn beherbergt (Lk 7,36–50). Rettung hat dabei immer auch etwas mit dem Verhältnis dieser beiden gegensätzlichen Aktuere zueinander zu tun. Eine Unterscheidung zwischen theologisch verstandenem »Heil« und Rettung (d. h. z. B. Gesundwerden, sozialer Integration und ökonomischer Unterstützung) verfehlt die Darstellung des Evangelisten.

Tanja Forderer bietet in »Πορνεία in der korinthischen Gemeinde. Zur Argumentation des Paulus in 1Kor 5,1–13; 6,12–20« (157–180) eine sorgfältige argumentationslogische Analyse der beiden im Titel genannten Abschnitte. Sie zeigt auf, wie Paulus mit verschiedenen Argumenten seinen Adressaten in Korinth deutlich zu machen versucht, warum er bestimmte Verhaltensweisen, von denen er bei ihnen gehört hat, als falsch ansieht und welche Lösungen er jeweils vertritt. Hinsichtlich der Anschlussfähigkeit der Argumentation des Paulus an heutige sexualethische Diskurse zieht sie ein skeptisches Fazit.

Jan Quenstedt untersucht in seinem Beitrag »Folgt meinem Beispiel wie ich dem Beispiel Christi (1Kor 11,1). Paulinische Mimesisvorstellung als Konfliktlösungs- und Konfliktpräventionsstrategie« (181–194), wie Paulus das Motiv der Mimesis einsetzt, um Konflikte innerhalb der Gemeinde zu bearbeiten oder zu verhindern. Indem Paulus seine Selbstrücknehme als Nachahmung Christi darstellt, kann er die potenziellen Konflikparteien in seinen Gemeinden auffordern, ihn nachzuahmen, d. h. sich ebenfalls zurückzunehmen. Dadurch wird zugleich die Gruppenidentität gestärkt. Konflikte außerhalb der Gemeinde lassen sich so nicht lösen, wohl aber kann Mimesis hier zur Sinnstiftung beitragen.

Saskia Breuer stellt in ihrem Aufsatz »Onesimus im Konflikt mit Philemon und Paulus als Vermittler? Eine Diskussion zu den Theorien vom fugitivus, erro und amicus domini« (195–227) in beeindruckender Prägnanz die verschiedenen Forschungsthesen zum situativen Hintergrund des Philemonbriefes dar und diskutiert ausgewogen deren Stärken und Schwächen. Mit guten Argumenten entscheidet sie sich am Ende für eine Kombination der erro-These (d. h. Onesimus ist nicht flüchtig, sondern nur länger unterwegs, als von seinem Besitzer erwünscht) mit der amicus domini-These (d. h. Paulus wird als Vermittler in einem Konflikt zwischen Onesimus und seinem Besitzer eingeschaltet).

Eckart David Schmidt untersucht in »Glauben, wenn es schwierig wird. Beobachtungen zu (k)einem Schlüsselbegriff im 1. Petrusbrief vor dem paulinischen Hintergrund« (229–257) die Rezeption des paulinischen Glaubensbegriffs in einem Schreiben aus einer Krisenzeit des entstehenden Christentums. Er zeigt, dass die Verwendung der pistis-Lexeme zwar zahlenmäßig zurücktritt, inhaltlich aber recht eng an den paulinischen Prätexten bleibt und zusätzlich noch den Aspekt der Widerstandskraft gegen Leiden und Drangsalierung bekommen.

Der Band bietet viele gute und auch einige vorzügliche Einzelbeiträge. Hinsichtlich seiner thematischen Kohärenz bleiben jedoch Fragen offen. »Konflikt« und »Krise« werden von den einzelnen Autoren so unterschiedlich verstanden, dass es schwierig ist, Querbezüge und inhaltliche Zusammenhänge zu erkennen.