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Ausgabe:

September/2023

Spalte:

822-825

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Levinson, Hanne Løland

Titel/Untertitel:

The Death Wish in the Hebrew Bible. Rhetorical Strategies for Survival.

Verlag:

Cambridge u. a.: Cambridge University Press 2021. 275 S. = Society for Old Testament Study Monographs. Geb. £ 75,00. ISBN 9781108833653.

Rezensent:

Martina Weingärtner

Diese Studie ist ein Ergebnis der intensiven, auch persönlichen Studien Hanne Løland Levinsons zu Texten, die in herausfordernder Weise Klage und Gebet des Menschen in Not und Anfechtung ausdrücken. Konkret behandelt sie Todeswünsche biblischer Figuren, Figurenreden, die den Wunsch zu sterben äußern (3). Diese vermeintlich selbstverständliche Bestimmung ließe zwar nicht auf eine Gattung in der hebräischen Bibel rückschließen, dennoch könne man als Charakteristikum die direkte Rede, meist als Anrede in der zweiten Person und als Konditionalsatz gestaltet, benennen. Innerhalb einer Spannbreite, die von expliziten Aufforderungen zur Tötung bis zu impliziten Infragestellungen der Sinnhaftigkeit des Lebens reicht, fokussiert L. ihre Auswahl auf Personen, die den Todeswunsch auf sich selbst bezogen formulieren. Sie identifiziert 17 Texte, über acht biblische Bücher und neun Figuren verteilt (4, Anm. 12).

Ihre Analyse führt zu vier Kategorien angesichts unterschiedlicher rhetorischer Gebrauchsweisen, die je anhand zweier Beispiele dargelegt werden: 1) als Element einer Verhandlungsstrategie (Rahel mit Gen 30,1; Mose mit Num 11,15), 2) als eine unverfälschte oder aufrichtige Klage (Elia mit 1Reg 19; Jona mit Jon 4) bzw. in extremo 3) als Wunsch, überhaupt nie geboren worden zu sein (Jeremiah mit Jer 20,18; Hiob mit Job 3,18), und 4) als Ausdruck eines Wunschdenkens in einer Klage über unumkehrbare Ereignisse (das bibli-sche Volk mit Ex 16,3; Num 14,2; 20,3; David mit 2Sam 19,1).

Angereichert ist ihre Studie um einen Exkurs zur Selbsttötung (113–118). Ein bündelndes Schlusskapitel, eine Bibliographie und Register – neben dem gängigen Stellen-, Personen- und Sachregister findet sich auch eine Auflistung spezifischer Termini zum Thema (157–173) – beschließen den Band. Durchzogen ist das Buch von Tabellen, die sprachliche, kompositionelle oder motivische Hauptaspekte der Texte veranschaulichen.

»Life sucks, I wish I had never been born!« (1) – so plakativ setzt L. in ihrer Einleitung ein (1–15), die sich über die Beobachtung einer Omnipräsenz – gar Unbekümmertheit – dem Phänomen verbalisierter Todeswünsche annähert. Auf Reflexionen zum Textmaterial, folgen Überlegungen zu Forschungsstand und Methodologie. Bisherige Studien hätten es verpasst, sich dem disparat verteilten Material in Gänze zu widmen und böten nur ein verkürztes Verständnis des Motivs, insofern rhetorische Facetten unberücksichtigt blieben. Namentlich geht L. dabei auf Arbeiten von D. Daube und J. M. Sasson ein (6–8). Ihren eigenen Ansatz verortet sie in der Nähe zu einem textpragmatischen Zugang, wie er von Ch. Frevel im Aufsatz Dann wär’ ich nicht mehr da. Der Todeswunsch Ijobs als Element der Klagerhetorik dargelegt ist. Für L. stehen somit weder innere Regungen noch die Ernsthaftigkeit der Willensabsicht einer Figur zur Debatte. Gemäß ihrer Auffassung der Literalität der Texte laufen solche Fragen Gefahr, in eine psychologisierende Falle zu tappen (8). Ebenso spiegeln direkte Reden der biblischen Charaktere für sie keine inneren Begehrlichkeiten wider, sondern sind Ausdruck einer gewissen Erzähl(er)absicht. Unter diesen Prämissen ist die Analyse eine gezielt sprachanalytische Arbeit, die die gewählten Passagen in einer Art dichten Beschreibung in ihrer Verbalisation in Ko- und Kontext befragt: Welche rhetorische Funktion nimmt der Todeswunsch ein und welches Ergebnis hat er im jeweiligen Kontext zur Folge? (9). Dieser linguistische Zugang ermög-licht L. einen bewusst gewählten methodischen Eklektizismus von diachroner oder synchroner Auslegung. Daneben zieht sie eine Konversationsanalyse (mit I. Hutchby und R. Wooffitt) als Heuristik heran. Demnach ist ein reguläres Gespräch ein zutiefst organisiertes, sozial geordnetes Gebilde, das Erwartungen (und deren Brechung) im Wechsel von Rede und Gegenrede (adjacency pairs) manifestiert (11 f.). So könne auch der Todeswunsch im Wechsel von Anspruch und (gebrochener) Erwartung gelesen werden, um Rückschlüsse auf die Funktion der Redeweise zu ziehen. Damit bewegt sich L. kohärent im Paradigma der Sprechakttheorie, die eine Rede als Handlung ernst nimmt und großes Gewicht auf Redeeinleitungen legt (quotative frame, 13). Eine Abgrenzung zu Austins Ansatz – er gehe von idealisierten Dialogen aus gegenüber der Konversationsanalyse, die alltägliche Gespräche betrachte (12 Anm. 44) – scheint unnötig, wenn L. selbst die notwendige Anmerkung über den schriftlichen, somit konstruierten Charakter biblischer Dialoge notiert. (11) Gleichwohl überzeugt die sprechhandlungsorientierten Lesart, die den Todeswunsch auf sein auslösendes Moment und seinen Effekt hin analysiert.

Jedes Kapitel untersucht den Bibeltext in seinem Kontext (Fragen nach Abgrenzung, Komposition und Gattung), die rhetorische Gestaltung des Todeswunsches (syntaktisch-strukturale Analyse) und zuletzt den Ausgang desselben. Dabei treten spezifische Fragestellungen entsprechend der Eigenheit der vier Paradigmen hinzu.

Todeswünsche als Verhandlungsstrategie (Kap. 2) finden sich meist im Zusammenhang mit ungleichen Beziehungsverhältnissen und sollen bewirken, dass sich z. B. die kinderlose Erzmutter oder der überforderte Prophet angesichts der nachteiligen Positionen Handlungsspielraum eröffnen. Beim Todeswunsch als konditionaler Aussage geht es vor allem um die Diskussion, welche Strategie verfolgt wird und ob sie zum Erfolg führt: Warum genau sehnt sich Rahel nach Kindern, und ist das Ergebnis auf ihre Anstrengung zurückzuführen? Auf welche Weise spricht Mose von sich so vehement als Knecht, und wird seinem Ansinnen Recht gegeben?

Die zweite Kategorie (Kap. 3) zeichnet sich dadurch aus, dass die Rede der Figuren Elija und Jona just keine taktische Strategie erkennen lassen, sondern eine wahrhaftige Sehnsucht zu sterben formulieren. Spezifisch sind die distinkten Gründe der Propheten, warum Gott ihr Leben beenden soll. Die Rede Elias weise eine sprachliche Singularität auf: Allein Jhwh soll die naefaeš nehmen, denn: »Genug!« (1Reg 19,4). Für L. kristallisieren sich das Motiv der Einsamkeit und die alleinige Bürde prophetischer Verantwortung als Anlass dieses Ausrufes heraus. In dieser Sinnlinie wird seinem Todeswunsch indirekt entsprochen: er stirbt nicht, doch er wird aus seinem Amt entlassen (1Reg 19,16). Für Jona findet sich eine explizite Emotionsbeschreibung, die Zorn als Grund seines Todeswunsches nennt. Der Prophet ist zornig über seinen Auftrag, über Gott, über sein Leben, sodass ihm der Tod als bessere Option erscheint. Diesem Wunsch würde erzählerisch in keiner Weise entsprochen, weder stirbt Jona, noch wird sein Zorn befriedet.

Dieses Kapitel verdeutlicht eine Herausforderung der Texte als emotionale Expressionen von schillernden Figuren, da die Möglichkeiten ihrer Interpretation vielfältig und höchst facettenreich sind. L. stellt sich dieser Herausforderung, indem sie verschiedene Forschungsmeinungen in ein Gespräch bringt und abwägend zu ihrem Urteil kommt. Über diese wissenschaftliche Lauterkeit hinaus nimmt sie dabei bewusst neue Perspektiven auf etablierte Deutungsmuster ein.

Die dritte Kategorie (Kap. 4) zeichnet mit den Figuren Jeremiah und Hiob eine gesteigerte Form nach, und zwar den Wunsch aus Verzweiflung die eigene Existenz gänzlich auszulöschen, den Wunsch, nie geboren worden zu sein. Neben der Untersuchung, auf welche Weise man sich ein Fortwünschen der eigenen Geburt vorzustellen habe – hier finden sich Schnittstellen zu L.s Forschungen zur Genderthematik (98; auch 45–48) –, steht bei diesen Redeweisen vor allem die poetische Kraft im Zentrum. Auch wenn L.s Argumentation bisweilen spitzfindig anmuten mag, ob es z. B. bei Jeremia das Leiden am Leben selbst oder am Leben als berufener Prophet ist, was das eigene Leben auszulöschen sucht (101, anders 113), zeigt die detaillierte Analyse der Bildsprache und ihrer Motivverwobenheit die literarische Funktion an: Die Figurenrede sind als (Selbst-)Verfluchung und Klage gestaltet, sie erhalten keine Antwort, die existentielle Verzweiflung bleibt. Der Wunsch, nie geboren worden zu sein, fungiert als Verdeutlichung zentraler Topoi – die Befragung prophetischer Berufung bzw. der Schöpfungsordnung. Um das Ausmaß dieser Verzweiflung zu veranschaulichen, greift die Radikalität des Bildes, die nicht allein bereits gelebtes Leben beenden möchte, sondern dies schon vor seiner Verwirklichung auszulöschen sucht.

Der sich anschließende Exkurs handelt vom vollführten Todeswunsch als Selbsttötung. Für L., die zunächst auf die begrifflichen Nuancen und Formen suizidaler Handlungen eingeht, ist Suizid als intendierte und selbstverschuldete Handlung mit einem tiefen Verlangen zu sterben (desire for death, 117) zu bestimmen, eine Definition, die nicht auf die gewählten Passagen anzuwenden ist. Als komplementäre Lektüre sei auf die Monographie von Jan Dietrich, Der Tod von eigener Hand. Studien zum Suizid im Alten Testament, Alten Ägypten und Alten Orient (ORA 19), Tübingen 2017, verwiesen, die sich dieser Distinktion aus einer anderen Richtung zuwendet. Dietrich unterscheidet mit Hiob zwischen Todeswunsch und Selbstmord. Hiob formuliere ein argumentum ad deum, das keinen Tod, sondern ein vom Leiden befreites Leben erhofft (ebd., 12–17). Wenn er andernorts die Rahelfigur in die Kategorie der Selbstmorddrohung einordnet, ändert dies nichts an deren mit L. gleichlautender Funktionsbestimmung als eines rhetorischen Mittels, um zu einem bestimmten Verhalten zu bewegen (ebd., 212–220).

Die letzte Kategorie handelt vom Todeswunsch als Wunschdenken (Kap. 5). Es sind Wünsche, die sich auf eine unveränderbare Vergangenheit beziehen und damit in keiner Weise zu erfüllen sind. »Wären wir doch durch die Hand JHWHs in Ägypten gestorben« (Ex 16,3), klagt das Gottesvolk hungernd in der Wüste. »Wäre ich doch an deiner statt gestorben« (2Sam 19,1) jammert es David um den Tod Absaloms. Diese Redeweisen lassen keinerlei Raum für eine potentielle Realisation des Todeswunsches und zielen somit nochmals deutlicher auf dessen rhetorische Funktion und in Folge auf Redeeinleitungen und Gegenrede bzw. Reaktion (adjacency pairs). Diese Formulierungen dienen als Ausdruck von Unmut und Protest oder Frustration und Trauer.

Die Studie fügt sich gut ein in die aktuellen Debatten um biblische Emotionen. Der sprachanalytische Ansatz bewahrt vor übereilten psychologisierenden Gefühlsdeutungen der Figuren. Mittels detaillierter Untersuchungen der Interpretationsmöglichkeiten sowie methodischer Vielfalt wird die Komplexität solch expressiver Redeweise herausgestellt. Besonders der Fokus auf die Rede als Handlung und die Zusammenschau von auslösendem Moment für und Wirkung auf einen Todeswunsch bringen das Potential dieser Rede als spezifische Form der Aktivität zu Tage, als rhetorical strategy for survival.