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Ausgabe:

September/2023

Spalte:

818-820

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Ammann, Sonja, Pyschny, Katharina and Julia Rhyder [Eds]

Titel/Untertitel:

Authorship and the Hebrew Bible.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2022. XII, 277 S. = Forschungen zum Alten Testament, 158. Lw. EUR 134,00. ISBN 9783161614903.

Rezensent:

Kristin Weingart

In den exegetischen Debatten gab es in den letzten Dekaden eine bemerkenswerte Begriffsverschiebung. Das Stichwort »Autor« ist auf dem Rückzug; der »Autor« ist bestenfalls ein »impliziter Autor« oder aber gleich »Schreiber«, »Tradent«, »Redaktor«, »Verfasserkreis« etc. Dahinter steht die längst nicht mehr neue Einsicht, dass die alttestamentliche Literatur eben keine Autorenliteratur im modernen Sinne ist und dass die Autoren und Autorinnen der biblischen Texte nicht oder bestenfalls nur über die Texte greifbar sind. Allein, eine terminologische Umstellung schafft aber die Problematik nicht aus der Welt, sie ist eher Symptom einer methodologischen Leerstelle. Eine metaexegetische Reflexion der Rede vom »Autor« biblischer Texte ist somit zweifellos ein Desiderat des aktuellen exegetischen Diskurses. Der Band nimmt die Frage auf und versammelt im Wesentlichen Beiträge einer von den Universitäten Basel und Lausanne veranstalteten Tagung mit dem Titel »What follows la mort de l’auteur? Reevaluating the Concept of Authorship in Hebrew Bible Studies« vom September 2018. Ziel von Tagung wie Band war bzw. ist es, den Umgang mit dem Autor-Konzept in der historisch-kritischen Exegese kritisch zu beleuchten und neue Schneisen für die Diskussion zu schlagen.

Die Mitherausgeberin Sonja Ammann eröffnet den Band mit einer Problemanzeige zur gegenwärtigen Forschungsdiskussion und einer Kurzvorstellung der 13 Beiträge (What Follows the Death of the Author? Introduction, 1–16).

Sophus Helle (Narratives of Authorship and Cuneiform Literature, 17–25) wirbt dafür, zwischen einer etischen und einer emischen Betrachtung antiker Autorenzuschreibungen zu differenzieren und sich primär auf den emischen Zugang zu konzentrieren. Am Beispiel von Sîn-leqi-unneni, Lu-Nanna (den vermeintlichen Autoren der Gilgamesch- bzw. Etana-Epen) sowie Enheduana (u. a. Nin me šara) argumentiert er, dass die jeweilige Autorschaft in etischer Perspektive historisch kaum zutreffend ist, sich aber bei emischer Betrachtung als kulturelles Narrativ herausstellt, das etwas über die Wahrnehmung, Kategorisierung und Beurteilung literarischer Texte in ihrer sozialen Welt zu erkennen gibt.

Gegen den Trend, judäische Autorenkonzeptionen einfach aus einem griechischen Verständnis herzuleiten, stellt Sylvie Honigman (The Greek and Judahite Representation of Author, Book, and Event, 37–57) ein differenzierteres Bild, in dem sich am Beispiel der Historiographie unterschiedliche Umgangsweisen mit Konzepten wie Abgeschlossenheit und Veränderbarkeit literarischer Werke, Autorisierung und Legitimierung durch Autorzuschreibungen etc. zeigen. Letztere beruhen auf verschiedenen soziologischen Rahmenbedingungen der Literaturproduktion in Griechenland und Juda.

George J. Brooke (Rewriting Authorship in the Dead Sea Scrolls, 59–74) nimmt die in den Schriftfunden vom Toten Meer erkennbare Pluralität von Textformen bei literarischen Texten zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen. Letztere lässt sich kaum mit der Vorstellung eines individuellen Autors verbinden. Autorschaft ist hier vielmehr als ein kollektives Phänomen greifbar, an dem Schreiber, Tradenten, Ausleger u.a. beteiligt sind.

Für Melanie Köhlmoos (Authorial Intention(s) in Old Testament Texts, 75–91) bleibt die Frage nach dem Autor für die historische Exegese unverzichtbar. Sie liefert eine kritische Würdigung in der Auslegungsgeschichte vertretener Autor-Konzepte und benennt bleibende methodische Schwierigkeiten bei der Suche nach der Autorenintention. Der »Autor« ist dabei weniger eine historische Kategorie, sondern eher ein Denkmodell »on the basis of core assumptions about the form, function, and genre of the literature at hand« (88).

Unter dem Titel »Matters of Authorship, Authority, and Power from the Perspective of a Historian of the World of Yehudite/Judean Literati« (93–113) nähert sich Ehud Ben Zvi dem Phänomen der Autorschaft von einer sozialgeschichtlichen und erinnerungkulturellen Perspektive aus. Anhand des Umstands, dass R. Barthes’ für die Tagung titelgebender Aufsatz in einer englischen Fassung bereits 1967 erschien, aber im kulturellen Gedächtnis aufs Engste mit dem Jahr 1968 verknüpft ist, argumentiert er, dass Autorschaft mit dem historischen Autor kaum etwas, viel mehr aber mit der einem Text zugeschriebenen Rolle innerhalb einer Gemeinschaft zu tun hat. An den Beispielen der Anonymität biblischer Autoren bzw. der Zuschreibung von Texten an bedeutsame Individuen (Mose, David u. a.) beleuchtet er Facetten von Autor-Konzeptionen im Juda der persischen und frühhellenistischen Zeit.

Konrad Schmid (From Amos to Ben Sira, 115–133) zeichnet eine Entwicklungslinie von der ursprünglich anonymen und nicht autor-orientierten biblischen Literatur bis hin zum post-biblischen Phänomen der Zuschreibung einzelner Texte an bestimmte Autoren. Als Katalysator fungierte dabei die Prophetie, in der, z. B. bei Amos, sich die Person des Propheten mit dem Anspruch von Autorität und Authentizität verband. In der Folge wurden auch andere Texte mit Autoren verknüpft (die Tora mit Mose, die Psalmen mit David u.ä.) und gleichzeitig diese Autoren als Propheten konzeptualisiert.

David Carr (Rereading Anonymous Oral-written Pentateuchal Prose in a Post-author 21st Century Context. Strategies and Goals for Historically-oriented Interpretation, 135–154) diskutiert Autorschaft am Beispiel des Buches Deuteronomium, das sich als einziges Buch im Pentateuch selbst mit Mose als einer Autor-Figur verbindet. Dieser Autor ist aber primär ein Mittler, der das göttliche Wort mündlich ausrichtet und schriftlich fixiert; diese Autorfiguration dient dem Autoritätsanspruch des Buches. Für Texte ohne entsprechende Autorfigurationen stellen sich u.U. andere Fragen. Carr unterzieht hierzu das Konzept des impliziten Autors einer kritischen Würdigung, die seine Unverzichtbarkeit, aber auch die Problematik bei der Anwendung auf Traditionsliteratur herausstellt, und schlägt vor, den Fokus stärker auf die Erschließung der in den Texten greifbaren historischen Sinnwelten zu legen.

Julia Rhyder (Divine Authorship, 155–173) untersucht die literarische Strategie, Rechtstexten einen göttlichen Ursprung zuzuschreiben, indem Gott zu ihrem Autor erklärt wird. Im Bundesbuch als ältestem und ursprünglich von der Sinai-Perikope unabhängigem Rechtskorpus ist die göttliche Stimme noch nicht kontextualisiert. Das ändert sich mit der Verankerung der Gesetzestexte am Sinai (Ex 19–24; Dtn), welche auch in der priesterlichen Konzeption aufgenommen, aber in das Heiligtum verlegt wird – eine Vorstellung, die auch Ez 40–48 prägt. Dabei gewinnt auch die Rolle menschlicher – aber anders als im Alten Orient üblich: nicht königlicher – Mittler (Mose, Ezechiel) an Gewicht, ebenso wie die Verschriftlichung des Gesetzes.

In »Between Narrator and Author« (175–192) wählt Ilse Müllner eine erzähltheoretische Perspektive auf das Thema und differenziert am Beispiel von 1Sam 31 und 2Sam 2 zwischen Erzähler, implizitem Autor und Autor. Die »Autoren« der Exegese sind vielfach die »impliziten Autoren« der Erzähltheorie, d.h. ein aus dem Text gewonnenes und ggf. historisch informiertes Bild eines möglichen Autors, somit aber eine Textfunktion und keine textexterne Größe. Die Differenzierung der Stimmen hat Konsequenzen, z. B. im Blick auf die Einschätzung der Textkohärenz, die jeweils unterschiedlich ausfällt, je nachdem, ob man sie auf der Ebene des Erzählers, des impliziten Autors oder des textexternen Autors betrachtet.

Christophe Nihan (David Superscripts in the Psalms and Concepts of Authorship in the Hebrew Bible, 193–208) diskutiert das Phänomen der Zuschreibung von Texten an autoritative Figuren. Ausgehend vom textkritischen Befund zu den דודל-Überschriften der Psalmen in MT, LXX und den Texten vom Toten Meer stellt er die verschiedenen Rollen – Index, Performer, Schreiber – heraus, die David hierin übernimmt. Die Zuschreibungen zielen nicht nur auf Autoritätsgewinn, sondern haben vielfältige weitere Funktionen, wie z. B. historiographische, didaktische, paradigmatische usw.

Ein Vergleich der Autoren-Konzepte in den Büchern Proverbien, Kohelet und Hiob führt Thomas Krüger (Authors and Narrators in Wisdom Literature, 209–218) zu der Einschätzung, dass diese im Einzelnen differieren, aber allesamt komplex und mehrstimmig sind. Sie stehen jeweils im Zusammenhang mit der Pragmatik der jeweiligen Bücher: Proverbien soll die traditionelle Lehre vermitteln, Kohelet die kritische Reflexion anregen und Hiob zum eigenständigen Denken herausfordern.

Christian Frevel (Jeremiah, the »Paradigmatic Author, 219–240) fragt nach den Hintergründen der Zuschreibung der Klagelieder an den Propheten Jeremia. Er stellt zunächst den Befund innerhalb der frühen Rezeptionsgeschichte vor und argumentiert, dass die Zuschreibung keineswegs zufällig war. Dafür führt Frevel textinterne Anhaltspunkte sowie die Verweisstrukturen zwischen den Büchern Thr und Jer vor und vermutet, dass eine Zuordnung der Lieder zu Jeremia ihren Anfang bereits in der Produktions- und Kompositionsphase der Klagelieder nahm.

Katharina Pyschnys Beitrag zum Ezechielbuch (Author Figuration in the Book of Ezekiel, 241–259) schließt den Band ab. Ihr geht es zunächst um eine Ausweitung des Autor-Konzepts, das nicht allein auf Textproduktion durch ein Individuum fokussiert sein soll, sondern auch Phänomene wie mündliche Äußerungen, kollektive Autorschaft, kollaborative Autorschaft usw. einschließt. Die verschiedenen Autorfigurationen bei Ezechiel, z. B. der autobiographische Stil, die Zeichnung als inspirierter oder aber stummer Autor führen letztlich zu einer Depersonalisierung Ezechiels zu Gunsten der göttlichen Verfasserschaft des Buches.

Stellen-, Autoren- und Sachregister erschließen den Band, der ein anregendes Kaleidoskop von Überlegungen bietet. Die Frageperspektiven, die die einzelnen Beiträge anreißen, sind so vielfältig wie die jeweils zugrundeliegenden Verwendungsweisen von Begriffen wie »Autor«, »Autorschaft« oder »Autorenintention«. Die methodologischen Fragen sind damit noch nicht geklärt, aber der Band zeigt eindrücklich, dass ein naives oder einfach moderne Kategorien projizierendes Verständnis von Autorschaft der Komplexität des Phänomens nicht gerecht wird. Wie auch immer man Autorschaft konzeptualisiert, bestimmt unweigerlich die Wahrnehmung der biblischen Texte mit.