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Ausgabe:

Januar/2023

Spalte:

46-48

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Jeremias, Jörg

Titel/Untertitel:

Habakuk.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2022. 279 S. m. 6 Abb. = Biblischer Kommentar Altes Testament, XIV/5,2. Geb. EUR 75,00. ISBN 9783525503607.

Rezensent:

Eckart Otto

Das Habakuk-Buch zählt zu den besonders schwierig zu deutenden Texten des Alten Testaments. Auf zwei Klagen des Propheten in 1,2–4 und 1,12–17 antwortet jeweils ein Orakel Gottes in 1,5–11 und 2,1–5, an das sich eine Reihe von Wehe-Worten in 2,6–19 und eine hymnische Theophanie in 3,1–19 anschließen. So klar dieser Aufbau des Buches in seiner finalen Gestalt zu sein scheint, durchziehen doch erhebliche Widersprüche und Spannungen den Text. 1,5–11 kündigt die Chaldäer, über deren Grausamkeit in 1,12–17 geklagt wird, als Gotteswerkzeug angesichts der inner-judäischen sozialen und rechtlichen Turbulenzen an, um dann in 2,6–19 die Vernichtung der Babylonier anzuzeigen und in 3,1–19 mit einer Theophanie Gottes zu enden.

Sah Julius Wellhausen den Kern des Buches in einer antibabylonischen Prophetie in 1,2–4.12–2,11.18–19, in die ein älteres Orakel in 1,5–11 eingearbeitet worden sei, erreichte die Kritik mit Karl Marti (1904) einen ersten Höhepunkt mit der These, dass auf den Propheten nur ein »Chaldäer-Orakel« in 1,2–4.12*–13; 2,1–4 zurück- gehe. Im Gegenzug hielt Bernhard Duhm (1906) das Buch Habakuk für literarisch weitgehend einheitlich und datierte es als Reak- tion auf den Siegeszug des Alexander in die hellenistische Zeit, eine Spätdatierung, die sich in der gegenwärtigen Forschung wieder einiger Beliebtheit erfreut, der aber aktuell auch extreme Frühdatierungen gegenüberstehen. Da ist es zu begrüßen, dass nun seit jüngster Zeit zwei verlässliche Kommentare vorliegen, für die die Chaldäer-Notiz in 1,6 wieder der Angelpunkt zur Datierung der Prophetie des Habakuk ist. 2018 erschien in Herders Theologischem Kommentar zum Alten Testament (HThKAT) der exegetisch verlässlich und in Bezug auf die Text- und Rezeptionsgeschichte des Buches unübertroffen ausführlich gearbeitete Kommentar des Bonner Alttestamentlers Heinz-Josef Fabry. Erfreulicherweise er- scheint nun im protestantischen Biblischen Kommentar (BK), dem Pendant zum katholischen HThKAT, die Kommentierung des Buches Habakuk durch Jörg Jeremias, meinem Vorgänger auf dem Lehrstuhl der Theologie des Alten Testaments an der LMU in München.

J. ist wie wenige für diese Aufgabe nicht nur dadurch prädestiniert, dass er in der Reihe ATD u.a. die Bücher Amos, Hosea und Micha sowie im BK das Buch Nahum kommentiert hat, sondern bereits in seiner Dissertation zur Theophanie (WMANT 10, 1965) Hab 3 und in seiner Habilitationsschrift zur Kultprophetie (WMANT 35, 1970) Hab 1–2 ausführlich besprochen hat und mit der Studie zur Kultprophetie der forschungsgeschichtlichen Phase der redaktionsgeschichtlichen Analyse des Habakukbuches den Weg geebnet hat. Dabei verbindet er 1970 die von Karl Marti (KHC) eingeführte Fragmentenhypothese mit der von Johann Wilhelm Rothstein (1894) vertretenen Ergänzungshypothese und rechnete mit fünf literarisch ursprünglich unverbundenen Fragmenten in 1,2–17; 2,1–3; 2,4–5; 2,6b–19*; 3,2–19, die allesamt aber auf den vorexilischen Kultpropheten Habakuk zurückgehen sollen. Anhand der Wehe-Worte in 2,6b–19* zeigt er mit Johann Wilhelm Rothstein auf, dass die ursprünglich auf innerjudäische Frevler bezogenen Wehe-Worte im 6. Jh. antibabylonisch überarbeitet worden seien; cf. auch Eckart Otto, ZAW 89 (1977), 73–107.

Das lässt fragen, inwiefern sich nach mehr als einem halben Jahrhundert die Perspektiven J.s. auf das Buch Habakuk verändert haben. Er beklagt eingangs in seinem Kommentar, dass die gegenwärtige Forschungssituation durch einen Graben zwischen der synchron arbeitenden, vornehmlich in Amerika beheimateten Exegese und der vornehmlich deutschsprachigen diachronen Exegese gekennzeichnet sei, was das Gespräch erschwere. Der Kommentar zeigt deutlich den Versuch J.s, auf die so beschriebene Situation zu reagieren, indem nun nicht mehr einzelne Fragmente Ausgangspunkt der Literaturgeschichte des Buches sein sollen, sondern in einem working down das theologische Profil des gesamten Buches beginnend mit seiner Endgestalt aus hellenistischer Zeit in den Blick genommen wird, in dem »ein herrlicher großer Bogen« geschlagen werde von der verzweifelten Klage des Propheten in Hab 1 bis zu einem überschwänglichen Jubel in Hab 3. Der »auto- biographische Stil« des Buches zeige die Absicht der Tradenten, das Ich des Propheten als Vorbild für den Leser erscheinen zu lassen und auch in seinem Leben eine ähnliche Wende des Leidens zu erhoffen. Die darunter liegende Interpretation des Buches in der Exilszeit des 6. Jh.s habe die Wehe-Worte überarbeitet, um sie nicht wie in der Verkündigung des Propheten Habakuk auf innerjudäische Frevler, sondern die babylonischen Eroberer zu beziehen. Entsprechend sei auch die Klage des Propheten in 1,14–17 erweitert worden. Das älteste Buch des Propheten Habakuk, den J. nun nicht mehr unter die Kultpropheten rechnet, sondern vorsichtiger als »Berufspropheten« zur Zeit des Königs Jojachim im Übergang vom 7. zum 6. Jh. v. Chr. bezeichnet, verknüpfe in Hab 1–2 die innerjudäische Sozialkritik in der Klage 1,2–13 mit einem Gottesorakel in 2,1–5, auf das die Wehe–Worte und in Hab 3 ein hymnischer Abschluss folge, wobei Hab 3 für seinen Kontext im Habakukbuch unter Verwendung einer vorgegebenen Theophanieschilderung in 3,3–15 verfasst worden sei. J. ist sich bewusst, dass mit dieser Strukturierung des ursprünglichen Buches, das nur eine Klage in Hab 1 und nur ein Orakel in Hab 2 aufweise, die inhaltlichen Spannungen in Hab 1 nicht aufgelöst sind, wenn er feststellt, der Prophet könne nicht begreifen, dass Gott durch die von ihm zur Herrschaft bestimmten Babylonier die Lage in Juda nicht verbesserte, sondern verschlimmerte, was auch für den Leser eine Herausforderung bedeutet. Die Lösung sieht J. darin, dass der Text ein literarisches Arrangement aus vorgegebenen mündlichen Verkündigungen sei, sodass auch ein Orakel vorauszusetzen sei, das die Babylonier als Werkzeug zur Besserung der inneren Lage in Juda angesagt habe, das aber mit der Verschriftlichung der mündlichen Prophetie in die Klage in 1,2–13 aufgenommen und von ihr nicht mehr abzugrenzen sei, wobei in der Exilszeit die Klage durch antibabylonische Kritik noch verschärft worden sei. Man darf fragen, ob mit der Verschiebung der inhaltlichen Spannungen in Hab 1 auf eine mündliche Vorgeschichte und einen prophetischen Denkprozess dem vorliegenden Text Genüge getan ist. Wenn J. feststellt, 1,5–11 gebe nicht zu erkennen, dass die Babylonier in einem ersten Orakel als Strafwerkzeug zum Gericht über die innerjudäischen Missstände eingesetzt worden seien, so besagt der Text von 1,12b im Spiegel der Kritik genau dies.

Diese Feinheiten des exegetischen Diskurses treten in ihrer Bedeutung aber angesichts der überzeugenden theologischen Profilierung des Buches Habakuk zurück, die J. mit diesem Kommentar vorgelegt hat, wenn er das Buch in die Nähe des Hiobbuches rückt und in der Theodizeefrage sein Zentrum sieht, wie ähnlich schon Heinz-Josef Fabry in seinem Herder-Kommentar (zur Theo-logie des Habakukbuches cf. auch Eckart Otto, VT 35, 274–295). Angesichts noch jüngster Versuche extremer Früh- oder Spätdatierungen der Ursprünge des Habakukbuches vom 7. Jh. bis in die Zeit der Diadochen im 2. Jh. ist, wie schon durch den Kommentar von Heinz-Josef Fabry, die Verortung des literarischen Ursprungs des Buches in die Zeit des Übergangs vom 7. zum 6. Jh. bestätigt und damit stabilisiert worden. Der Kommentar wird in der weiteren Forschung am Habakukbuch internationale Beachtung gewinnen. Dafür sei Jörg Jeremias gedankt.