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Ausgabe:

Dezember/2021

Spalte:

1266-1268

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Hölzl, Richard

Titel/Untertitel:

Gläubige Imperialisten. Katholische Mission in Deutschland und Ostafrika (1830–1960).

Verlag:

Frankfurt a. M. u. a.: Campus Verlag 2021, 654 S. = Globalgeschichte, 33. Kart. EUR 56,00. ISBN 9783595512952.

Rezensent:

Ulrich van der Heyden

Abgesehen von dem Unverständnis hervorrufenden Titel des Buches von Richard Hölzl liegt hier eine hervorragende Darstellung wichtiger Ereignisse aus der Geschichte der katholischen Mission in der Region der ehemaligen deutschen Kolonie Ostafrika, was im Prinzip das Territorium der heutigen Staaten Tansania, Ruanda und Burundi meint, vor. Schwerpunkt ist ebenso die Re­zeption der historischen Entwicklung in der katholischen Kirche und den Kongregationen im »deutschen Mutterland«, etwa bis zum sogenannten afrikanischen Jahr 1960, als die Mehrzahl der ehemaligen Kolonien auf dem afrikanischen Kontinent die nationale Unabhängigkeit erlangte. Aber was sind in diesem Kontext »Imperialisten«? Von Imperialismus spricht man zumeist erst vom Ende des 19. Jh.s; in Bezug auf die koloniale Expansion seit 1884/85. Sollen unter »Imperialisten« – was selbst in der Fachliteratur häufig sinnentstellend verwendet wird – »Expansionisten« verstanden werden? Als gemeinhin anerkannt gilt die Tatsache, dass der Begriff Imperialismus – neben der bei H. offensichtlich werdenden zeitlichen Ungleichzeitigkeit – zwischen 1830 und den 1880er Jahren – weit mehr umfasst als Kolonialismus. Soll die Erfüllung des in der Bibel vorgesehenen missionarischen Auftrages Imperialismus gewesen sein? Bei Imperialismus geht es um territorialen Erwerb mit ausbeuterischen und oft genug gewaltsamen Methoden, bei den Missionaren um den Erwerb der Seelen der auf den von ihnen als Arbeitsgebiete reklamierten Territorien lebenden Menschen. Allerdings wussten sie es, wie in diesem Buch mehrfach zu erfahren ist, zu ihrem Vorteil zu nutzen. Dieser Unterschied in Zielstellung und Methodik sollte nicht verwässert werden.
Wie angeführt, der von H. gewählte Ausdruck verwirrt! Wer sich davon nicht abhalten lässt, das Buch zu lesen, wird viele neue historische Informationen in gelungenen Begründungen und Erläuterungen zur Kenntnis nehmen können.
H. stellt sich selbst die Aufgabe, »die Deutungen, die die Mission in Deutschland über Zivilisation, Christentum und koloniale Herrschaft hervorbrachte, von den Anfängen der modernen Missionsbewegung […] bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg« zu analysieren (10). Wenngleich es an sich auch keine so neue Erkenntnis ist, dass die katholische Mission und die Idee der damit einhergehenden »Zivilisierung« zentrale Bestandteile des kolonialen Prozesses gewesen sind, so vermittelt H. doch an dem von ihm gewählten Beispiel ziemlich detailliert, wie die christliche Missionstätigkeit in mannigfacher Weise die koloniale Herrschaft vor Ort stützte. Zumindest bei der Darstellung des von den Missionaren betriebenen Bildungswesens kommt deutlich zum Ausdruck, dass die indigenen Bevölkerungen nicht nur aus Subjekten bestanden, sondern dass afrikanische »Auszubildende« die gebotene Möglichkeit zu nutzen wussten, um sich als Intellektuelle und selbst als kirchliche und politische Führer zu positionieren.
Alle sich aus dem breit angelegten Forschungsthema ergebenden Fragen nach dem konkreten Verhältnis von Mission und Kolonialismus hat H. in sieben jeweils weiter untergliederte Haupt-kapitel geordnet. So wird die intellektuelle Durchdringung der Thematik besonders deutlich, vor allem gestützt auf eine breite Quellen- und Literaturbasis, die den Leser beeindruckt. H. hat Dokumente aus einer Reihe von Archiven, vor allem von katholischen Missionskongregationen in Deutschland und Tansania sowie im Nationalarchiv in Daressalam, aus dem Nationalarchiv in Kew (UK) und dem Bundesarchiv in Berlin ausgewertet.
In seiner Analyse stehen zwar die katholischen Missionare im Mittelpunkt, jedoch kommt er nicht umhin, auch die protestan-tischen Missionsgesellschaften in der betreffenden Region zu be­rücksichtigen, denn beide arbeiteten unter der deutschen Kolonialverwaltung. Zuweilen hätte man sich einen weitergehenden Vergleich der Missionsmethoden, Unterschiede und Ähnlichkeiten der katholischen und protestantischen Missionsgesellschaften in ihrem jeweiligen Verhältnis zur deutschen und später dann britischen Kolonialmacht im heutigen Tansania gewünscht.
Allerdings – um einmal einige Monita aufzuführen – ist einige nach Meinung des Rezensenten wichtige Fachliteratur unberücksichtigt geblieben. Hingewiesen sei beispielsweise auf die Studien bzw. Bücher von Anna Maria Busse Berger wie »The Search for Medieval Music and Germany, 1891–1961« (mit starkem Blick auf die katholische Mission in Ostafrika), Hans-Martin Hinz/Hans-Joachim Niesel/Almut Nothnagel (Hgg.): »Mit Zauberwasser gegen Gewehrkugeln« (mit vielen Beiträgen über die Missionsgeschichte Ostafrikas), Jutta Bückendorf: »Die Anfänge von Deutsch-Ostafrika«, dies.: »Schwarz-weiß-rot über Ostafrika«, Hans-Joachim Niesel: »Die Missionen im Maji-Maji-Aufstand in Deutsch-Ostafrika 1905–1907«, Harald Sippel: »Mission und Gewalt in Deutsch-Ostafrika« (auch andere relevante Studien von Sippel fanden keine Berücksichtigung), Wilfrid Wagner (Hg.): »Rassendiskriminierung– Kolonialpolitik und ethnisch-nationale Identität« (mit richtungsweisenden Beiträgen zur Missionsgeschichte Ostafrikas), Bernd Arnold: »Steuer und Lohnarbeit von Deutsch-Ostafrika 1891 bis 1916«, Ingrid Laurin: »Der Maji-Maji-Aufstand in Deutsch-Ostafrika 1905/1906« (beide letztgenannten Bücher wesentlich auf missionarischen Quellen beruhend), Ulrich Luig: »Religion und Politik. Die Anfänge der evangelischen Mission in Deutsch-Ostafrika«, Winfried Brose/Ulrich van der Heyden (Hgg.): »Mit Kreuz und deutscher Flagge. 100 Jahre Evangelium im Süden Tanzanias« (alle Beiträge zu missionsgeschichtlichen Themen, u. a. von Michael Lemke »Zu Methoden und Wirkungen der katholischen Missionskongregationen der ehemaligen Kolonie Deutsch-Ostafrika«), Ul­rich van der Heyden/Achim von Oppen (Hgg.): »Tanzania. Kolo-niale Vergangenheit und neuer Aufbruch« (mit einigen thematisch relevanten Beiträgen). Auch auf vorliegende kommentierende Do­kumenteneditionen zum Verhältnis Mission und Kolonialismus in Ostafrika wurde nicht zugegriffen, wie auf diejenigen von Fritz Ferdinand Müller: »Kolonien unter der Peitsche«.
Allein schon in der vom Rezensenten herausgegebenen Reihe COGNOSCERE sind mehrere Editionsbände zur (Missions-)Ge­schichte Ostafrikas erschienen, wie »Kolonialer Alltag in Deutsch-Ostafrika in Dokumenten«, H. Paasche: »Das verlorene Afrika« (hg. von P. W. Lange), F. von Bülow: »Reisescizzen und Tagebücher aus Deutsch-Ostafrika« (hg. von K. von Hammerstein), »Argwöhnisch beobachtet. Das ge­spannte Verhältnis zwischen deutschen Kolo-nialbeamten und katholischen Missionaren in Bagamojo/Ostaf-rika« (hg. von J. Henschel), J. Oelke: »Als Missionar in Ostafrika. Erinnerungen aus den Jahren 1905–1959« (hg. von Ulrich van der Heyden).
Es ist zumindest bedauerlich, dass diese Forschungsergebnisse und Quellendokumentationen H. anscheinend unbekannt geblieben sind. Hilfreich wäre sicherlich auch gewesen, sich über die Kolonialgeschichtsschreibung Ostafrikas in der DDR zu informieren, die schon Jahre, bevor man sich dafür in der Bundesrepublik interessierte, einige Meilensteine gesetzt hat (vgl. Ulrich van der Heyden: Tansania in der DDR-Wissenschaft. Eine paradigmatische Untersuchung der Afrika- und Kolonialgeschichtsschreibung der DDR). Vielleicht hätte H. so manche These besser untermauern, möglicherweise einige Schlussfolgerungen mit einem Fragezeichen versehen können, vermutlich sogar Neuland bei einigen Fragestellungen und deren Beantwortung betreten können, intensiver sich auseinandersetzen können mit Problemen bei einer komparatistisch angelegten Untersuchung zwischen katholischen und protestantischen Missionsmethoden oder er wäre auf neue Er­kenntniswege hingewiesen worden, wenn er die bereits publizierten Arbeiten zur Missions- und Kolonialgeschichte Afrikas zur Kenntnis genommen hätte.
Stattdessen hat H. Fachliteratur verwendet, die auf den ersten Blick nicht viel mit der von ihm gewählten Thematik zu tun hat, so zur Missions- und Kolonialgeschichte West- und Südafrikas. Das erlaubt zwar einen komparatistischen Blick auf die Entwicklung im ostafrikanischen Raum, aber nicht direkt auf die »Kolonialmission« im heutigen Tansania, die ja im Mittelpunkt der Arbeit steht. Des Weiteren hätte man sich mehr Sorgfalt beim Literaturverzeichnis gewünscht. So werden in Kurzform in den bibliographischen Angaben Sammelbände genannt, die dann im Literaturverzeichnis nicht mehr auftauchen.
Trotz der erwähnten Monita liegt ein Buch vor, welches den Forschungsstand der Kolonial- und Missionsgeschichte Afrikas in we­sentlichen Punkten bereichern wird.