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Ausgabe:

September/2021

Spalte:

795–797

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Kloppenborg, John S.

Titel/Untertitel:

Greco-Roman Associations: Texts, Translations, and Commentary. III: Ptolemaic and Early Roman Egypt.

Verlag:

Berlin u. a.: De Gruyter 2020. XXXII, 740 S. m. 2 Abb. u. 4 Tab. = Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft, 246. Geb. EUR 129,95. ISBN 9783110707687.

Rezensent:

Markus Öhler

Mit dem dritten Band der Auswahl an Zeugnissen des griechisch-römischen Vereinslebens wendet sich John S. Kloppenborg ge­meinsam mit einigen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen Ägypten zu. In 139 Einträgen, die zu einem guten Teil auch noch weitere Texte in den Kommentaren referieren, gewähren Inschriften, vor allem aber Papyri und einige Ostraka, vertraute und neue Einblicke in das antike Vereinsleben. Der besondere Gewinn dieses Bandes liegt aber vor allem darin, dass etliches, was aus den epigraphischen Quellen lediglich erschlossen werden kann, in den Papyri dokumentiert ist. Hier geht es vielfach um das Alltagsgeschäft antiker Vereinigungen. Sie zeigen zum einen die Vielfalt antiken Vereinslebens, die mit verschiedenen lokalen oder zeitlichen Aspekten verbunden ist, zugleich aber auch die Konstanz. So lassen sich aus diesem Material zahlreiche Rückschlüsse auf die Verhältnisse im übrigen Mittelmeerraum ziehen.
Die Einleitung des Bandes (1–19) rückt u. a. diesen Aspekt in den Vordergrund. Eine breitere Diskussion wird darin auch der Frage gewidmet, wie der Widerspruch zwischen einer restriktiven gesetzlichen Beschränkung von Vereinigungen in römischer Zeit und der überwältigenden Menge an Material zu erklären wäre, die die Omnipräsenz dieser Gruppierungen demonstriert. Denn während der § 108 im Gnomon des Idios Logos (No. 234 der Sammlung) seit Augustus festlegt, dass es verboten sei, einen synodos zu bilden, demonstrieren die papyrologischen Zeugnisse die enge Verflochtenheit von Berufsvereinen mit der öffentlichen Verwaltung. So waren diese u. a. in die Einhebung von Steuern oder in der Rekrutierung von Soldaten eingebunden. Der Vf. erklärt die breite Überlieferung einleuchtend damit, dass die rechtlichen Bestimmungen den Behörden zwar Möglichkeiten zum Eingreifen boten, diese aber nur selten genutzt wurden.
Der Sammelband gliedert die Einträge von Nord nach Süd (Delta, Mittelägypten, Oberägypten) sowie zeitlich (vom 3. Jh. vor bis zum 6. Jh. n. Chr.). Original, eigene Übersetzung, Anmerkungen zu sprachlichen Besonderheiten, ein interpretierender Kommentar mit zusätzlichen Primärquellen sowie weitere Literatur finden sich zu jedem Eintrag. Der Umstand, dass für die demotischen Papyri (No. 188 und 191) die französische Übersetzung von de Cenival ins Englische übertragen wurde, ist freilich bedauerlich. Ergänzt werden die Einträge in diesem Band durch Verweise auf die Trismegis-tosliste (trismegistos.org) bzw. jene des Copenhagen Associations Project (copenhagenassociations.saxo.ku.dk).
Die Mehrzahl der Dokumente stammt von Berufsvereinigungen. Sie gewähren vielfältige Einblicke in die Organisation der unterschiedlichen Berufe, ihre öffentlichen Aufgaben bis hin zu Preisfestlegungen. Ein guter Teil des Materials geht auf dezidiert kultische Vereinigungen zurück.
Aus judaistischer Perspektive sind zahlreiche, an sich bereits bekannte Dokumente interessant, in denen eine Proseuche oder Synagoge genannt wird. Unter ihnen sind Stiftungs- und Ehreninschriften, aber auch Abrechnungen für den Wasserverbrauch (bei No. 186), ein Beleg über den Freikauf von Sklaven durch die Synagoge (No. 276) oder ein Protokoll eines jüdischen Begräbnisvereins (No. 288). Charakteristisch für den Ansatz von GRA ist, dass Synagogen selbstverständlich als Vereinigungen betrachtet werden (vgl. auch 4 f.). In mehreren Papyri begegnen auch Christen: Dokumente aus dem Archiv des Leonides (No. 281) zeigen, wie dieser in einem Netzwerk aus Berufsvereinigung und christlicher Gemeinde eingebunden war. Darüber hinaus werden zu einzelnen Fragen Bezüge zu frühchristlichen Texten aufgezeigt.
Zahlreiche papyrologische Zeugnisse sind Vereinsordnungen oder beziehen sich darauf. Rechtsstreitigkeiten zeigen, dass in städtischen Archiven Kopien dieser Nomoi hinterlegt wurden (No. 189). Einige der Dokumente stammen aus dem Archiv des Kronion aus Tebtunis (ca. 45–49 n. Chr.), u. a. eine Liste von 16 Vereinigungen (No. 216). Ausgesprochen erhellend ist der Vergleich von fünf Vereinsordnungen derselben Gruppierung aus 32 Jahren (bei No. 191), der u. a. Veränderungen von Strafbestimmungen und Strafhöhen aufzeigt. Etliche Zeugnisse belegen überdies, dass Vereinsordnungen von den Mitgliedern jährlich unterschrieben wurden. Inhaltlich sahen die Ordnungen in Ägypten tendenziell eine stärkere Verpflichtung zu einem ordentlichen Lebenswandel vor als die be­kannten Inschriften aus Griechenland oder Italien.
Weitere Höhepunkte dieser Sammlung sind Abrechnungen von Feiern, die sowohl Mahlbestandteile – in Ägypten u. a. häufig Bier – als auch Kosten für Ausstattung, Miete usw. auflisten. Unter No. 194 werden z. B. Fragmente eines Papyrus aus Tebtunis behandelt (P. Tebt. III/2 894, ca. 114 v. Chr.), in dem zumindest 41 Treffen dokumentiert und penibel abgerechnet werden. Die 20 bis 25 Mitglieder und einzelne Gäste dieser nicht besonders vermögenden Vereinigung trafen sich zum Mahl in den Privathäusern.
Sitzungsprotokolle halten u. a. Anwesenheit und Abwesenheit von Mitgliedern oder die Beteiligung an Sammlungen für besondere Zwecke fest. Manche Dokumente betreffen Streitigkeiten in­nerhalb der Vereinigung, etwa zu finanziellen Angelegenheiten, oder mit Außenstehenden, die zugesagte Leistungen einforderten. Für beides wurden auch die lokalen Gerichte angerufen, waren doch Vereinsordnungen ein verpflichtender Vertrag, dessen Einhaltung eingeklagt werden konnte. Einzelne Besonderheiten sind die Austrittserklärung eines Mitglieds wegen Verarmung (No. 238) oder der Brief eines Mannes an seine Familie, die ihm den Eintritt in eine Serapisvereinigung finanzieren sollte (No. 240). Für die Kultvereinigungen des Serapis sind vor allem Ostraka interessant, mit denen einzelne Personen zur »Liege des Serapis« eingeladen wurden (vgl. etwa 1Kor 10,21; Lk 14,15–24).
Diesen dritten Band von GRA beschließen wiederum ausführliche Register, die nun für alle drei Bände gelten, sowie einige Berichtigungen. Mitwirkende an diesen Bänden haben zuletzt auch Mo­nographien vorgelegt, die zahlreiche Aspekte ausführlicher be­leuchten: J. S. Kloppenborg, Christ’s Associations. Connecting and Belonging in the Ancient City, Yale 2019, sowie R. Last/P. A. Harland, Group Survival in the Ancient Mediterranean. Rethinking Material Conditions in the Landscape of Jews and Christians, London u. a. 2020.