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Ausgabe:

Mai/2021

Spalte:

476–480

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Hainthaler, Theresia, Ansorge, Dirk, u. Ansgar Wucherpfennig [Hgg.]

Titel/Untertitel:

Jesus der Christus im Glauben der einen Kirche. Christologie – Kirchen des Ostens – Ökumenische Dialoge.

Verlag:

Freiburg i. Br.: Verlag Herder 2019. 464 S. Geb. EUR 54,00. ISBN 9783451383489.

Rezensent:

Vasile-Octavian Mihoc

Dieser Sammelband bündelt Aufsätze, die 2017 auf einem Symposium zu Ehren von Kardinal Alois Grillmeier SJ (1910–1998) präsentiert und diskutiert wurden. Die aus Europa, den USA und dem Irak stammenden Autoren gehören unterschiedlichen christlichen Konfessionen an und haben spezifische Forschungsschwerpunkte. In ihren Beiträgen bauen sie auf die Findungen Grillmeiers aus seinem Standardwerk »Jesus der Christus im Glauben der Kirche« (das von Theresia Hainthaler fortgeführt wurde) auf und geben wichtige christologische Anstöße, bringen neue Perspektiven oder füllen Lücken in den früheren Forschungen.
Die Aufsatzsammlung setzt sich aus acht Teilen zusammen. Der erste Teil des Sammelbandes ist fokussiert auf biblische Grund-lagen der Christologie. Ansgar Wucherpfennig SJ (Sankt Georgen) zeigt die theologische Bedeutung angelomorpher Konzeptionen aus den frühjüdischen Quellen und aus dem jüdischen Hellenismus für die Christologie, mit der Kritik, dass Grillmeier »noch nicht zwischen einer Engelchristologie und angelomorphen Elementen differenziert, und daher eine Engelchristologie erst in der nachneutestamentlichen Zeit vor Nikaia für bedeutsam gehalten« habe (51). Das theologische Gewicht der Entdeckung dieser Elemente in den Evangelien verdeutliche »die Verbundenheit der Christologie im Wurzelgrund eines jüdischen Monotheismus« (53). Hans-Ulrich Weidemann (Siegen) synthetisiert eine »paulinische Christologie«, indem er neuere exegetische Ansätze dokumentiert. Den bedeutendsten dieser Ansätze sieht er in dem »Perspektivenwechsel von den Christustiteln und den Bekenntnisinhalten hin zu den Praktiken der Verehrung Jesu innerhalb des jüdischen Monotheismus« (58; Herv. im Original). Die paulinische Christologie lasse sich aus dem Damaskusereignis und dessen Anschluss »an den devotionalen Praktiken der frühen ›Jesusverehrung‹« (115) rekonstruieren. Diese Entwicklung wurde von der Rezeption und der Transformation der christologischen Formeln in den sogenannten vor- und außerpaulinischen Passagen begleitet. Wenn Grillmeier schon hellenistisch-jüdisches Gedankengut in seiner Analyse be­rücksichtigt habe, bringe die jüngere Debatte durch eine zuneh mende Beteiligung jüdischer Forscher die binitarischen Spekulationen, d. h. die Vorstellungen einer weiteren göttlichen Gestalt neben Gott, des antiken Judentums verstärkt in den Fokus der Forschung.
Der zweite Teil fokussiert auf die christologischen Entwicklungen vom Neuen Testament zu den altkirchlichen Vätern. Christoph Markschies (Berlin) nimmt die ersten zwei Kapitel des ersten Bandes des Werkes »Jesus der Christus im Glauben der Kirche« unter die Lupe und macht Vorschläge, den gegenwärtigen Forschungen entsprechend, an welchen Hauptpunkten die Darstellungen Grillmeiers revidiert werden können. Erstens plädiert er für eine angemessene Bewertung der nicht-kanonischen (apokryphen) neben den antiken kanonischen Quellen. Zweitens bringt er den Ge­danken in den Vordergrund, dass »in der Antike die Grenzen zwischen Mensch und Gott fließend waren, offenkundig selbst bei Juden« (131). Die Berücksichtigung des antiken Judentums und vor allem des sogenannten jüdischen Binitarismus aus dem diskursiven Kontext der christlichen Lehrbildung betrachtet Markschies als indispensabel. Drittens bringt er das Beispiel des antignostischen Monarchianismus, das neue Möglichkeiten für die »große Ökumene«, d. h. auch für den interreligiösen Dialog, eröffnen könne. Lenka Karfíková (Prag) argumentiert, dass Origenes’ Christologie auf der doppelten Natur Christi basiere, scheint sich jedoch um die menschliche Seele Jesu zu drehen, die als Mittler zwischen der Göttlichkeit und dem menschlichen Leib betrachtet wird. Bei Origenes werde auch dem menschlichen Leib Christi eine soteriologische Bedeutung zu­geschrieben.
Der dritte Teil des Sammelbandes fokussiert auf den griechischen Osten vom 5. bis zum 7. Jh. Thomas Graumann (Cambridge UK) analysiert die Darstellung der christologischen Diskurse in den Akten der ökumenischen Konzilien von Ephesus I (431), Ephesus II (449) Chalcedon (451), Konstantinopel II (553) und III (680–1). Wenn sich anfänglich die konziliaren Auseinandersetzungen auf den »Heresiarchen« fokussierten, so dass dogmatische Definitionen indirekt formuliert wurden, wendet sich diese Realität in Chalcedon, als die Frage der rechten Christologie in den Vordergrund rückt. Nach Graumanns Auffassung sei die Bearbeitung des christologischen Themas während der Konzilien für die Entwicklung der aktuellen Diskussionen im ökumenischen Kontext hilfreich. Lorenzo Perrone (Bologna) stellt fest, dass bei den Vätern von Gaza (Isaias, Barsanuphius, Johannes, Dorotheus) eine dogmatische Christologie keine zentrale Beschäftigung war. Eher standen das Mysterium Christi und die Nachahmung Jesu mit starkem soteriologischen Aspekt im Vordergrund, der in einer geistigen Schriftauslegung, im Gebet und in der Liturgie zur Sprache kam. Brian E. Daley SJ (Notre Dame IN, USA) verfolgt die Rezeption der Christologie von Chalcedon bis zum 6. Jh. Schließlich analysiert er die Christologie bei Leontius von Byzanz und stellt fest, dass dieser – während er von Christus als einer Hypostase und zwei verschiedenen Naturen spricht – die Hypostase nirgendwo ausdrücklich mit dem Logos identifiziert, im Gegensatz zu den späteren Theologen, wie beispielsweise Johannes von Damaskus. Cyril Hovorun (Yale und Los Angeles, USA) nimmt das Konstrukt der »zusammengesetzten Natur« aus den Debatten über die Einheit und Zweiheit Jesu in der byzantinischen Christologie, besonders während des monotheletischen Streits, in den Fokus. Auch wenn das Konzept der »Zusammensetzung« (synthesis) im Kontext des Verständnisses vom »Theandrismus« der chalcedonischen Orthodoxie gut gepasst hätte, wurde es von den Chalcedonensern nicht verwendet. Nach Hovorun würde das griechische Wort synthesis das Konzept der communicatio beinhalten, um das theandrische Wesen Jesu auszudrücken, d. h. communicatio idiomatum (für die zusammengesetzte Natur), communicatio operationum (für die zusammengesetzte Aktivität) und communicatio voluntatum (für den zusammengesetzten Willen).
Der vierte Teil des Bandes bietet einige Aspekte der westsyrischen Christologie an. David G. K. Taylor (Oxford) analysiert ein grundlegendes exegetisches Werk in der sich entwickelnden syrischen Miaphysitentradition des 6. Jh.s, nämlich den Kommentar zu den Psalmen vom syrischen Theologen Daniel von Ṣalaḥ. Dieses Werk berichtet nicht nur über die Kontroverse mit den sogenannten »Aphthartodoketen« oder »Phantasisten«, sondern bringt die Bilder der Annahme des Körpers durch Christus als eine traditionelle theologische Wahrheit in den Fokus. In seiner Menschwerdung gab Christus den Menschen das Gewand der Herrlichkeit zurück, das durch die Taufe angelegt wird.
Der fünfte Teil beschäftigt sich mit dem lateinischen Westen 5.–9. Jh. Theresia Hainthaler (Frankfurt a. M.) diskutiert einige maßgebende christologische Texte aus den Anfängen einer Systematisierung der Theologie im lateinischen Westen, kurz vor und nach Chalcedon. Zentrale Beschäftigungen waren: die sogenannte theopaschitische Formel wurde durch die Betonung der Einheit der Person Christi und die Idiomenkommunikation akzeptabel gemacht; das Interesse an monophysitischen Vorstellungen war eher beiläufig im Vergleich mit der Beschäftigung mit dem Arianismus; der Person-Begriff und der Adoptianismus in Spanien. Diese Themenbereiche stellen das Spezifikum der christologischen Debatten im Westen dar, die offensichtlich noch von trinitarischen Themen dominiert waren. Dirk Ansorge (Sankt Georgen) gibt einige Einblicke in die Christologie von Johannes Scottus Eriugena (9. Jh.), die »wesentlich heilsgeschichtlich konzipiert« (330) ist.
Der sechste Teil nimmt den Fokus auf die Christologie im frühen Islam. David Thomas (Birmingham UK) zeigt, wie arabische Christen eine Theologie formuliert haben, in der sie Konzepte und Ideen aus der islamischen Theologie berücksichtigt haben. Die Analyse veranschaulicht, dass Jesus, auch wenn er eine bedeutende Rolle im Islam hat, bei den Christen und den Muslimen zu »ganz anderen Universen des Verstehens« gehört (349).
Der siebte Teil des Bandes bringt einige Einblicke in die ökumenischen Dialoge. Patriarch Louis Raphaël I. Kardinal Sako (Bagdad) argumentiert, dass die Kirche des Ostens nicht nestorianisch ist. Diese Kirche existierte lange vor Nestorius und die Dualität der Personen in Christus, angewandt auf diese Kirche, sei »falsch und lächerlich« (357). Christus hat zwei Naturen (qnome = individuierte Naturen) in einer Person. Die syrischen Theologen hätten die Begriffe Natur und Hypostasis mit derselben Bedeutung verwendet. Kurt Kardinal Koch (Rom) verdeutlicht, dass es sich bei den christologischen Debatten »wesentlich auch um ein Sprachproblem gehandelt hat« (371). Er gibt einige Beispiele der gemeinsamen Erklärungen über die christologischen Differenzen und deren Überwindung zwischen Rom und Oberhäuptern der orientalisch-orthodoxen Kirchen. Darüber hinaus erläutert er »die ökumenische Methode des sogenannten differenzierenden Konsensus«, die »sich als fruchtbar erwiesen« habe (374 f.). Durch diese Methode werden Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede benannt, die »kein kirchentrennendes Gewicht mehr haben« (375). Eine wichtige Überzeugung des Autors ist, dass die Vertiefung des Christusglaubens eine bleibende Aktualität der Kirche sein müsse und dass »die ökumenische Suche nach der sichtbaren Einheit der Kirche selbst ein elementares christologisches Thema« (384) sei.
Der konkludierende Teil ist der Bedeutung Grillmeiers für die heutige Theologie gewidmet. Andrew Louth (Darlington UK) bringt einige Überlegungen basierend auf dem Buch Grillmeiers Der Logos am Kreuz (1956), das sich mit der Entwicklung der Ikonographie beschäftigte. Louth’ Absicht ist, das Verstehen der Chris-tologie im Schatten des Chalcedonense zu schärfen und die Bedeutung des Begriffs Person in der Entwicklung der byzantinischen Ikonographie mit ihrem Fokus auf das Gesicht, als die Offenbarung der abgebildeten Person, zuzuspitzen. Johannes Zachhuber (Oxford UK) bringt einige Leistungen und Grenzen der Darstellungen Grillmeiers des 6. Jh.s ins Gespräch. Er stellt fest, dass der Aufbau der Theologie auf dem »ökumenischen Katholizismus des Zweiten Vatikanums« viele Möglichkeiten für das Verstehen der Einheit in der Vielfalt anbot, aber er trug auch zur Begrenzung »einer auf institutionelle Einheit abzielenden Ekklesiologie« (417) bei. Die Verfolgung eines »Fluchtpunkts«, nämlich des vordogmatischen Christusbildes, als der Maßstab, an dem sich Orthodoxie und Heterodoxie messen lassen müssen, bereitete eine bereichernde Perspektive. Doch diese Perspektive und die Suche nach den verbindenden Elementen in der Pluralität der christologischen Stimmen sowie eine unkritische Würdigung des Chalcedonense hatten unmittelbare Folgen für die Analyse des 6. Jh.s. Dem zufolge werden Stimmen, wie die des Severus von Antiochien, nicht in einem Dialog auf Augenhöhe analysiert. Zachhuber schlägt vor, das Telos einer historischen Darstellung als den Fluchtpunkt zu nehmen, so dass Zentralität und Randheit als auswechselbare Größen in der Geschichte des Christentums dargestellt werden können. Hans-Joachim Höhn (Köln) zeigt die Relevanz der Christologie des Chalcedonense für die heutige Theologie. Er argumentiert, dass die Ge­stalt der Selbstvergegenwärtigung Gottes in Christus durch die Sichtweise einer »Verhältnisontologie« keine Ausnahme offenbart, sondern die Tatsache vergegenwärtigt, dass sich an der Beziehung Gottes zur Welt nichts »verändert« habe, sondern diese Beziehung »ungemindert« und »ungeteilt« geblieben sei (438). An der Formel »wahrhaft Gott und wahrhaft Mensch« zeige sich das Einbezogensein Jesu »in ein unüberbietbares Verhältnis unbedingter Zuwendung Gottes zum Menschen« (439), das nicht daseinskonsekutiv im adoptianistischen Sinn zu verstehen sei, sondern daseinskonstitutiv.
Dieser Sammelband stellt eine wichtige Referenz sowohl für die Vitalisierung und Aktualisierung des Werkes Grillmeiers durch die Sicht der neuesten Forschung als auch für die weiteren Debatten um die Christologie dar. Seine höchste Relevanz besteht in der ökumenischen und polyphonischen Zusammensetzung der Beiträge als gemeinsames Unternehmen nicht nur in der Suche nach Lücken oder in der Weiterbildung der Forschung Grillmeiers, sondern auch in der ständigen Fokussierung auf das Christusbild als des verpflichtenden und verbindenden Elements des Glaubens der einen Kirche.