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Ausgabe:

März/2019

Spalte:

196–198

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Bishop, Richard W., Leemans, Johan, and Hajnalka Tamas[Eds.]

Titel/Untertitel:

Preaching after Easter. Mid-Pentecost, Ascension, and Pen-tecost in Late Antiquity.

Verlag:

Leiden u. a.: Brill 2016. XVIII, 486 S. = Vigiliae Christianae. Supplements, 136. Geb. EUR 143,00. ISBN 978-90-04-31553-2.

Rezensent:

Gerard Rouwhorst

Im patristischen Zeitalter – insbesondere in der Periode ab der Mitte des 4. Jh.s bis zum Ende der christlichen Antike – galten Homilien, Predigten die im Rahmen der Gemeindeliturgie gehalten wurden, als Kommunikationsmittel par excellence. Dieses Genre bot Kirchenleitern, besonders Bischöfen größerer und kleinerer Städte, eine ganze Skala von rhetorischen Mitteln, um mit den Mitgliedern ihrer Gemeinden über die Bedeutung der Bibel und liturgischer Riten und Feste sowie über dogmatische und moralische Themen zu kommunizieren. Die zahlreichen Homilien, deren Auto-ren wohl als gesichert gelten können, vermitteln dadurch einen einmaligen Einblick in die Art und Weise, wie ihre Verfasser, wie z. B. Kirchenväter wie Johannes Chrysostomos und Augustinus, aber auch weniger bekannte und weniger originelle Prediger, wie z. B. Severianus von Gabala (Konstantinopel um 400), ihre theologischen und moralischen Auffassungen den Mitgliedern ihrer Gemeinden zu vermitteln versuchten. Indessen sind Homilien, deren Verfasser nicht feststehen oder umstritten sind (z. B. die zahlreichen Texte, die als Pseudo-Chrysostomos oder Pseudo-Augustinus bezeichnet werden) oder die anonym überliefert worden sind, n icht weniger interessant, insofern sie uns wenigstens über die Verbreitung be­stimmter Ideen und Auffassungen informieren. Und für die Ho­milien insgesamt gilt, dass sie oft interessante Informationen über verschiedenste – religiöse und nicht-religiöse – Aspekte des Lebens der Gemeindemitglieder enthalten (auch wenn man sich immer dessen bewusst sein muss, dass diese durch die normative Brille der Prediger betrachtet werden).
Eine Kategorie von Homilien, die u. a. für das Studium der frühchristlichen Liturgiegeschichte von besonderer Bedeutung ist, sind die Festpredigten, die während der größeren und kleineren litur-gischen Feste gehalten worden sind. Die Feststellung, dass diese Kategorie von Homilien nur in einem beschränkten und selektiven Maße, aber nicht in mehr systematischer Weise, erforscht worden ist, war für zwei der Herausgeber dieses Bandes (Richard Bishop und Johan Leemans) der Anlass zur Entscheidung, diese Texte zum Gegenstand eines neuen Forschungsprojektes zu machen. Wegen des enormen Umfangs des Quellenmaterials haben sie sich auf die P redigten für zwei Feste, nämlich Himmelfahrt und Pfingsten, beschränkt. Die in diesem Band versammelten Beiträge basieren auf Vorträgen während eines Kongresses, der im Rahmen dieses Projektes 2013 in Leuven veranstaltet wurde. Sie vermitteln einen Einblick in den damaligen Stand des Forschungsprojektes, das in eine englische Übersetzung mit Einleitung, Anmerkungen usw. ausmünden sollte.
In dem Buch wird außer auf die Geschichte des Himmelfahrts- und Pfingstfestes noch auf den Ursprung und die früheste Entwicklung eines drittes Festes eingegangen: die sogenannte Mesopentekoste (Mittpfingsten), die u. a. in Jerusalem am Mittwoch der vierten Woche der Osterzeit gefeiert wurde und sich von dort nur in der byzantinischen Tradition durchgesetzt hat. Jedem dieser drei Feste ist ein eigenes Kapitel gewidmet, die zusammen das Herzstück des Buches bilden. Es folgen noch einige kürzere Teile der Homilien des Papstes Leo, die für das Himmelfahrts- und das Pfingstfest bestimmt waren (Teil 4) und die einige kurze Notizen über weitere Himmelfahrtspredigten enthalten (Teil 5). Dem Ganzen geht ein Beitrag von Harald Buchinger voran (Teil 1), der einen sehr ausführlichen und besonders gut dokumentierten Überblick über die Entwicklung der ganzen Pentekoste, des Himmelfahrs-festes und des Pfingstfestes am 50. Tag nach Ostern in den verschiedenen östlichen und westlichen Traditionen des frühen Chris-tentums bietet. Der Aufsatz ist auf dem neuesten Stand und ist vermutlich die beste Übersichtsstudie, die es momentan zum Thema gibt. Als einzigen nicht völlig unproblematischen Punkt könnte man hervorheben, dass die allmähliche Aufgliederung und Ausdifferenzierung der 50-tägigen Freudenzeit gelegentlich auf sehr abwertende Weise als Zerfall, Dekadenzerscheinung und Verlust einer archaischen (und deshalb besseren? G. R.) Paschatheologie beschrieben werden (s. vor allem 79–82). Obschon dieser Ansatz lange Zeit unter Liturgiehistorikern üblich war und man dafür auch theologische und liturgische Gründe anführen könnte, würde ich selber die beschriebene Entwicklung doch lieber von einer mehr neutralen oder sogar positiven Perspektive aus – z. B. als Entwicklung eines christlichen kulturellen Gedächtnisses (Maurice Halbwachs; Jan Assmann) – betrachten! Übrigens sei bemerkt, dass Bu­chinger am Ende seines Beitrages den genannten Ansatz selber einigermaßen relativiert (84).
In den übrigen Teilen kann man vier Kategorien von Beiträgen unterscheiden (die als Kapitel bezeichnet werden). Erstens befassen sich einige Aufsätze mit der geschichtlichen Entwicklung der drei Feste. Martin Kaiser zeigt, dass die Frage der Herkunft der Mesopentekoste letztendlich offenbleiben muss, aber dass dieses Fest jedenfalls eine Bahnlesung des Johannesevangeliums während einer noch nicht aufgegliederten Pentekoste voraussetzt. Clemens Leonhard stellt auf überzeugende Weise eine Reihe von weitverbreiteten Auffassungen über die historischen Zusammenhänge zwischen dem Pfingstfest und dem jüdischen Wochenfest (Sha-vuot) in Frage und zeigt, dass erst am Ende des 4. Jh.s das Verhältnis zwischen beiden Festen (Geistesgabe versus Gabe der Torah) in christlichen – und rabbinischen? – Quellen ein Thema wurde. Zweitens behandeln verschiedene Autoren manchmal sehr technische Fragen in Bezug auf Authentizität und Verfasserschaft einzelner Homilien, die in der handschriftlichen Überlieferung zu Recht oder zu Unrecht Kirchenvätern wie Johannes Chrysostomos ( Nathalie Rambault; Kapitel 14), Augustinus (Clemens Weidmann; Kapitel 12), aber auch Amphilochios von Ikonion (Martin Kaiser; Kapitel 4), Proclus von Konstantinopel (Richard Bishop; Kapitel 7) und Severianus von Gabala (Sever Voicu; Kapitel 18) zugeschrieben werden. Eine dritte Kategorie besteht aus inhaltlichen Analysen von Homilien, die von einzelnen Autoren verfasst worden sind: die Himmelfahrtspredigt von Johannes Chrysostomos (PG 50: 441–452; Nathalie Rambault; Kapitel 5); mehrere Himmelfahrtspredigten Augustins (Anthony Dupont; Kapitel 6); einige Himmelfahrts- und Pfingstpredigten des Severianus von Gabala (Sefer Voicu; Kapitel 11), des Severus von Antiochien (Pauline Allen; Kapitel 13) und des Papstes Leo (Bronwen Neil und Joris Geldhof; Kapitel 16 und 17). Geldhof geht auch auf die Rezeption der von ihm besprochenen Himmelfahrtspredigten durch die Liturgische Bewegung und einige moderne Theologen (Odo Casel, Edward Schillebeeckx und Aidan Kavanagh) ein. Martin Meiser (Kapitel 9) und Johan Leemans (Kapitel 10) verfolgen die Auslegung bestimmter Festthemen in den Predigten mehrerer Kirchenväter.
Da die Beiträge aufgrund ihres Zusammenhanges mit einem von den drei Festen und nicht aufgrund ihres methodischen Ausgangspunktes gruppiert worden sind und die besprochenen Predigten zum Teil recht willkürlich ausgewählt worden sind, hat das Buch insgesamt eine etwas lockere Struktur. Weiter stellt sich mir auf der Basis der inhaltlichen theologischen Analysen gelegentlich die Frage, inwieweit diese Texte die Sicht auf die Feier und den Inhalt der genannten Feste und darüber hinaus auch auf dogmatische Entwicklungen wesentlich ändern können. Schließlich werden die Predigten eigentlich nie von anderen als theologischen und liturgischen Perspektiven betrachtet und z. B. kaum als Quellen für Sozialgeschichte oder Kulturgeschichte benutzt (eine Möglichkeit, die auf S. 2 von den Herausgebern wenigstens suggeriert wird). Trotzdem vermittelt dieser Band einen interessanten Eindruck von noch wenig erforschten Quellen und einem noch recht unbekannten Forschungsthema. Er macht vor allem auch neugierig auf die versprochene kommentierte Übersetzung der griechischen Homilien, die in Planung ist.