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Ausgabe:

April/2018

Spalte:

333–335

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Altmann, Peter

Titel/Untertitel:

Economics in Persian-Period Biblical Texts. Their Interactions with Economic Developments in the Persian Period and Earlier Biblical Traditions.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2016. XI, 342 S. = Forschungen zum Alten Testament, 109. Lw. EUR 119,00. ISBN 978-3-16-154813-0.

Rezensent:

Rainer Kessler

Die Zürcher Habilitationsschrift von Peter Altmann reiht sich in die zunehmende Zahl von Arbeiten ein, die sich mit der persischen Epoche der Geschichte Israels befassen. Sie konzentriert sich auf die Ökonomie dieser Zeit. Schwerpunkt ist aber nicht die Rekonstruktion der ökonomischen Verhältnisse als solcher, sondern der Reflex der wirtschaftlichen Veränderungen in den biblischen Texten. Damit wird Neuland erschlossen.
Vier Kapitel widmet A. dem Zugang zu den Texten, bevor er sich diesen in vier weiteren Kapiteln direkt zuwendet. Das 1. Kapitel behandelt Forschungsgeschichte und Methodologie. Einen ersten Durchgang durch einschlägige Studien schließt A. mit der Feststellung, dass die Epoche durch das Aufkommen der Geldökonomie geprägt ist, jedoch nicht so, dass diese dominiert, sondern in Spannung steht zu älteren Formen, in denen persönliche Gaben innerhalb eines redistributiven Systems bestimmend sind (13). Die alten Zugänge – A. nennt sie modernistisch, marxistisch und substan-tivistisch – könnten diese Spannung nicht fassen. Stattdessen biete die Neue Institutionen-Ökonomie, die einerseits ökonomische Eigendynamiken berücksichtigt, zugleich aber deren institutionelle Einbettung in Anschlag bringt, die Möglichkeit, die Phänomene angemessen erfassen.
Die folgenden drei Kapitel erörtern den Hintergrund, auf dem die biblischen Texte der Perserzeit zu stehen kommen. Kapitel 2 untersucht die traditionelle Bedeutung des Königtums für die Ökonomie in Mesopotamien. Diese sei hoch zu veranschlagen. Sie bestehe nicht nur in der religiösen Rolle des Königs, sondern auch in direkten Interventionen im Blick auf Preisgestaltung und Verschuldungsvorgänge. Das 3. Kapitel untersucht das Verhältnis von Wirtschaft, Kult und Gesellschaft in vorexilischen biblischen Texten. Ihnen zufolge greife Gott nicht selbst in ökonomische Beziehungen ein, erwarte aber von den Herrschenden, dass sie faire Verhältnisse garantieren. Das 4. Kapitel unternimmt den wichtigen Versuch, die Ökonomie der Perserzeit zu rekonstruieren. Nach einem kurzen Blick auf die neubabylonische Epoche und den Übergang zur persischen Vorherrschaft analysiert ein längerer Abschnitt die imperiale persische Ökonomie im Allgemeinen. Ein besonderes Gewicht liegt auf der Frage nach dem Übergang zur Geldwirtschaft und der Rolle der Münzprägung für die persische Ökonomie. Einerseits sei festzuhalten, dass es ein Nebeneinander älterer Formen redistributiver Wirtschaft und neuerer, am Geldaustausch orientierter Formen gibt, also nicht einfach die Ablö sung der einen durch die andere Form. Zum andern sei darauf zu achten, dass insbesondere in Babylonien die Geldwirtschaft zu­nimmt, obwohl es keinen nennenswerten Münzgebrauch gibt, weil auch gehacktes Silber die Geldfunktion in ausreichendem Maß erfüllen kann. Ein ausführlicher Blick auf die wirtschaftliche Entwicklung in der griechischen Welt, den phönizischen Stadtstaaten, dem philistäisch beherrschten levantinischen Küstenstreifen, nach Elephantine, Samaria und Idumäa rekonstruiert den Hintergrund für die besondere Entwicklung in Judäa. Diese bleibe im Vergleich zu den Nachbarökonomien zurück. Kennzeichnend für sie sei »a combination of the patronage and communal holdings and economic structures« (186), über die sich als wirtschaftlich bedeutender Faktor »the taxes and tithes of the provincial-im-perial and the temple systems« legten (187). Damit ist der Weg frei zur Betrachtung der Texte.
Kapitel 5 nimmt im Überblick Texte aus Chronik, Priesterschrift und Heiligkeitsgesetz sowie aus Deuterojesaja, Haggai und Sacharja in den Blick. Dabei lasse sich eine Zunahme ökonomischer Metaphern beobachten, zugleich aber auch ein Unbehagen, ökonomische Praktiken in die Beschreibung des Göttlichen, die Finan-zierung des Tempels und die Aufgabe der gesellschaftlichen Integration einzuführen (209).
Die Kapitel 6 bis 8 widmen sich sodann Texten aus Esra und Nehemia. Auch wer sich schon länger mit diesen Texten befasst hat, wird immer wieder überrascht sein, wie viele Anspielungen an ökonomische Fragen und wie vielfältige ökonomische Denkfiguren, die in den Texten aufgegriffen werden, A. ausfindig zu machen versteht. Nach einer Einführung in die Einleitungsfragen zum Esra-Nehemia-Buch (Kapitel 6) stellt A. in Kapitel 7 die Frage: »Who Pays? The Economics of a Theological Question in Ezra 1–8«. Ich erwähne als wichtigste Einsichten: In Esr 2,68 f. werden die Gaben für den Tempel in Münzwerten angegeben; anders als im Bericht über den Bau des ersten Tempels (1Kön 5,23–25) werden beim zweiten die ausländischen Bauarbeiter in Silber entlohnt (Esr 3,7); die Bedeutung des Perserkönigs wird nicht an seinen Eroberungen, sondern an den Warenströmen gemessen, die er in sein Reich zu leiten vermag (Esr 4,13.20); im Bericht über den Bau des Tempels und dessen Ausstattung spielen ökonomische Fragen eine führende Rolle (Esr 6); und auch bei Esras Mission nach Esr 7,15–24 steht die Frage »Wer bezahlt?« im Mittelpunkt. Zusammenfassend lässt sich festhalten: »the economic motif plays a key role in the building of the temple« (242).
Während in Esra die Ökonomie den roten Faden für die Erzählstruktur des Buches bilde, greife das Nehemia-Buch ökonomische Fragen oft und tiefgehend auf, ohne sie aber zum Leitthema zu machen, das die Erzählung zusammenhält. In Neh 3 steht die ökonomische Teilnahme am Mauerbau in Jerusalem im Dienst der Formung einer judäischen Identität. In Neh 5,1–13, das A. ausführlich analysiert, geht es zentral um die ökonomische Frage der Verschuldung. Am Bericht über Nehemias Tafel und die Teilnahme an ihr (Neh 5,14–19) fasziniert die von A. erwogene Übersetzung des schwierigen Verses 15. In Luther 2017 heißt es, die früheren Statthalter hätten »für Brot und Wein täglich vierzig Schekel Silber« genommen. A. übersetzt so: »they took from them ›in‹ bread for one day, [the equivalent of] 40 shekels of silver« (274). Danach hätten die Statthalter keineswegs täglich 40 Silberschekel eingezogen – eine Menge, die im damaligen Juda wohl kaum einzutreiben gewesen wäre. Vielmehr hätten sie die Abgaben in Naturalien erhoben, ihren Wert aber gibt der Bericht in Silberschekel an: »the 40 silver shekels specify the value of taxes-in-kind appropriated« (276, Hervorhebung i. O.). Der Bericht spiegle ökonomisches, am Tauschwert orientiertes Denken. Zugleich lasse sich nicht übersehen, dass Nehemias Tafel ökonomisch gesehen dem alten Modell der Redistribution zugehört und gerade keine Marktverhältnisse widerspiegelt. Auch in den Texten, die die Zugehörigkeit zum Tempel (Neh 13,4–14) und die Frage des Sabbats (13,15–22) behandeln, spielten Wirtschaftsfragen eine wichtige Rolle. Gleichwohl bildeten das Herzstück des Nehemia-Buches nicht ökonomische Fragen, sondern das Problem, wie sich eine judäische Identität herausbilden kann.
Im kurzen Schlusskapitel 9 unterstreicht A., dass trotz zunehmender ökonomisch beeinflusster Sprache, Metaphern- und Begriffsbildung die biblischen Texte der Perserzeit nicht vom da­mals modernen ökonomischen Denken der Geldwirtschaft be­herrscht werden. Sein Schlusssatz lautet: »The Judean community in Yehud was surrounded by economically more advanced and more well-connected polities. In response, the biblical texts put their considerations of economic issues into the forms of classic traditional topoi, such as the question who might be designated by the deity to build a sanctuary. Generally speaking, the Persian biblical rejected the rise of economically defined value. They instead re-peatedly placed community cohesion around their sanctuary as the highest value.«
Dem anregenden Buch sind zahlreiche Leserinnen und Leser sowie eine kritische und weiterführende Rezeption seiner scharfsinnigen Beobachtungen zu wünschen.