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Ausgabe:

Juni/2017

Spalte:

624–626

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Genz, Rouven

Titel/Untertitel:

Jesaja 53 als theologische Mitte der Apostelgeschichte. Studien zu ihrer Christologie und Ekklesiologie im Anschluss an Apg 8,26–40.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2015. XII, 502 S. = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. 2. Reihe, 398. Kart. EUR 99,00. ISBN 978-3-16-153408-9.

Rezensent:

Vitor Hugo Schell

Das Werk »Jesaja 53 als theologische Mitte der Apostelgeschichte. Studien zu ihrer Christologie und Ekklesiologie im Anschluss an Apg 8,26–40« ist die leicht überarbeitete Fassung der Dissertationsschrift von Rouven Genz, die 2013 unter dem Titel »Der Knecht und die Knechte. Studien zur Christologie und Ekklesiologie der Apos­telgeschichte im Anschluss an Apg 8,26–40« im Fachbereich Erziehungs- und Kulturwissenschaften der Universität Osnabrück eingereicht worden ist. G., seit September 2015 Studienassistent im Al­b­recht-Bengel-Haus in Tübingen, bewegt sich mit seiner Studie im Rahmen der von ihm in der Einführung des Werkes zusammengefassten Tendenzen in der neueren Acta-Forschung: die Untersuchung der Prägungen durch bestimmte alttestamentliche Schriftcorpora im lukanischen Doppelwerk. Auf den Spuren von Strauss und seiner Wahrnehmung der Jesaja-Rezeption durch Lukas, von D. W. Pao, P. Mallen und insbesondere von U. Mittmann-Richert in ihrem Werk »Der Sühnetod des Gottesknechts. Jesaja 53 im Lukasevangelium« führt G. die Erforschung des Einflusses alttestament- licher Traditionen im lukanischen Doppelwerk weiter. Während Mittmann-Richert sich auf das Lukasevangelium, insbesondere hinsichtlich der lukanischen Soteriologie und Christologie, konzentriert, liegt der Schwerpunkt von G. auf dem zweiten Teil des Doppelwerkes. Dabei fragt G. nach dem Einfluss von Jesaja 53 auf die lukanische Christologie und Ekklesiologie. Er zielt mit seiner Analyse darauf, die Erzählung über Philippus und den Kämmerer in Apg 8,26–40 als Musterbeispiel für die lukanische Schriftauslegung in den Fokus zu stellen. Nach G. sind Traditionen aus dem Alten Testament Lukas vertraut, und be­sonders das Zitat aus Jes 53 würde auf die Art und Weise der lukanischen Verarbeitung solcher Traditionen verweisen. Über den Text Jes 53 hinaus nimmt G. auch eine Untersuchung der Rezeption und Verarbeitung der jesajanischen Tradition durch Lukas in seiner Apostelgeschichte vor.
Im ersten Teil seines Werkes bietet G. eine detaillierte Exegese von Apg 8,26–40. Die Exegese wird mit acht Exkursen bereichert, die den Leser über die Angelologie der Apg, die theologische Bedeutung Äthiopiens und die Κανδάκη, den Status des Eunuchen, bis hin zu der Person des Philippus in historischer Perspektive unterrichten. Nach G. steht Lukas als Theologe und Historiker zwischen biblischen Überlieferungen und geschichtlichen Gegebenheiten seiner Zeit und verbindet sie miteinander. G. zeigt, warum Apg 8, 26–40 als Teil einer durchdachten Gesamtkomposition anzusehen sei, deren Mehrheit der Motive Anknüpfungspunkte bei Jesaja habe. Das jesajanische Zitat in Apg 8,32 f. sei sowohl für den Aufbau als auch für die Gesamtbedeutung der lukanischen Erzählung zentral. Dieses Zitat, zusammen mit der Gottesknechtstradition, sei nach G. für das Verständnis des theologischen Profils von Apg 8,26–40 entscheidend.
Im zweiten Teil der Untersuchung stellt G. das theologische Profil der Apg in das Licht der Gottesknechtsthematik. Durch die Analyse der παῖς-Belege in der Apg, von Apg 3,13.26 im Kontext der Petrusrede an das jüdische Volk und zuletzt von Apg 4,27.30 im Kontext des urgemeindlichen Gebets, wird zunächst eine Christologie der Apg gesucht. Auch in diesem zweiten Teil sind Exkurse zu finden, wie beispielsweise zwei, bei denen G. sich mit der Königsherrschaft Jesu im lukanischen Werk und mit der Bedeutung des Namens Jesus nach der Apg beschäftigt. Nach G. sei in der Apg das Verständnis Jesu als des Gottesknechts der hermeneutische Schlüssel, um die Verschmelzung »insbesondere der davidisch-messianischen und der mosaisch-prophetischen Traditionslinie in der Person Jesus zu begreifen« (266).
Obwohl der Knechtstitel, nach G., ausschließlich in den Kapiteln 3 und 4 Verwendung findet und der Grund dafür »in gewisser Hinsicht das Geheimnis des Lukas« (269) bleibe, zeigt G. im weiteren Schritt der Studie, die sich der Suche einer Ekklesiologie des Lukas in der Apg widmet, wie die Gottesknechtsthematik das Bild der Apg in ekklesiologischer Perspektive weiterhin prägt. G. versucht zu zeigen, ob und inwiefern dieselbe Gottesknechtstradition die Erzählung der Praxis der Nachfolge Jesu bei Lukas prägt. Die Parallelen der Thematik zwischen Jesus und Paulus, als Hauptcharakter der Apg, die in der Forschung mehrfach aufgezeigt worden sind, bekommen bei G. eine neue Perspektive. Stichwortartig macht G. am Ende seiner Analyse von Apg 20,28 sichtbar, wie die-ser Vers im lukanischen Kontext eingebettet und mit der Gottesknechtstradition verknüpft ist und als soteriologisches Grundaxiom der lukanischen Ekklesiologie anzunehmen sei. Nach G. motivierte »die lukanische Darstellung eine soteriologische Durchdringung des Kreuzesgeschehens auf der Grundlage der jesajanischen Überlieferung« (314). Der Tod Jesu als Sühnetod sei also auch für Lukas – sowie für den Knecht Paulus – Voraussetzung für jede Heilsverkündigung. Paulus und Lukas seien also nicht so weit voneinander entfernt. Die Ekklesiologie des Lukas sei nicht nur von dem Auferstehungsgeschehen, sondern auch von dem Kreuzes-geschehen entscheidend geprägt. Die lukanische Ekklesiologie sei deutlich soteriologisch verankert.
Am Ende seiner Untersuchung zeigt G. noch, inwiefern die jesajanische Gottesknechtsthematik bei der lukanischen Darstellung der christlichen Gemeinde im Hintergrund steht. Dabei stellt G. Apg 1,8 ins Licht und analysiert zunächst die Geistbegabung und den Zeugenauftrag bis an das Ende der Erde. Die Jünger Jesu seien von Lukas als Knechte präsentiert, die von Jesus selbst von ihrer Blindheit und ihrem Unverständnis – genau das Problem des Gottesknechts Israel – geheilt werden. Die Knechte Jesu, einmal ge­heilt und bevollmächtigt, unterstreicht G., sind dann geistbegabte Zeugen bis an das Ende der Erde. Das Leiden bei der Heilsverkündigung wird von den Zeugen als Teilhabe am Leiden Jesu verstanden. In interessanter Weise zeigt G. ausführlich, wie Paulus sich selbst in jesajanischer Gottesknechtstradition stehend sieht, in­dem er als »Knecht des Knechtes« nach der Episode auf dem Weg nach Damaskus weiterlebt. Prägnant betont G., dass Paulus ekklesiologisch vermittelt, was in Jesus christologisch und soteriologisch begründet i st. Abschließendverweist G. auf die wichtigen Beiträge von Pao und Mallen hinsichtlich der lukanischen Jesaja-Rezeption und benennt, was bei ihnen zu präzisieren ist.
Es erweist sich als ein großer Gewinn seiner Studie, wie G. die literarische und theologische Arbeit des Lukas unterstreicht und wie er zeigt, dass auch Lukas als Theologe in hohem Maß das Kreuzesgeschehen auch im zweiten Teil seines Doppelwerkes tiefgründig reflektiert. Mit zahlreicher Literatur und langen Fußnoten auf fast jeder Seite seiner detaillierten Untersuchung zeigt G., warum Lukas nicht nur als Historiker oder als Schriftsteller, sondern auch als Theologe und als Ausleger der jesajanischen Schrift ernstzunehmen ist.