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Ausgabe:

Juli/August/2016

Spalte:

846–848

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Ringleben, Joachim

Titel/Untertitel:

Sprachloses Wort? Zur Kritik an Barths und Tillichs Worttheologie – von der Sprache her.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2015. 200 S. = Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie, 150. Geb. EUR 70,00. ISBN 978-3-525-56418-9.

Rezensent:

Christian Danz

Der emeritierte Göttinger systematische Theologe Joachim Ringleben hat in diesem Buch eine – wie es im Untertitel heißt – Kritik an Barths und Tillichs Worttheologie[n] vorgelegt. Dabei versteht sich die Studie ausdrücklich als Seitenstück zu R.s Buch Gott im Wort. Luthers Theologie von der Sprache her (2010) und macht an den beiden prominenten Theologen des 20. Jh.s die »notwendige Gegenrechnung« (8) auf. Auf der Folie seiner eigenen spekulativen sprachtheologischen Deutung der Theologie des Reformators wird von R. bei Barth und Tillich gefragt, »was wirklich an diese[n] Theologie[n] des Wortes Gottes dran ist« (39). Das Resultat der kritischen Evaluierung fällt ernüchternd aus: Die wichtigsten Theologien des Wortes Gottes aus dem 20. Jh. (wenn man Tillich einmal in diese mit einbeziehen möchte) vermochten es nicht, den Gehalt von Luthers Sprachtheologie zu erreichen, da sie programmatisch von der (menschlichen) Sprache abstrahieren, die Wort-Gottes-Theologie also gegen die Sprache konzipieren. Gott und sein Wort bleiben daher bei Barth und Tillich sprachlos. Diese These wird von R. in den beiden Hauptteilen seiner Untersuchung minutiös in enger Auseinandersetzung mit den Texten von Barth und Tillich rekonstruiert. Der umfangreichere erste Hauptteil nimmt K. Barths Lehre vom Worte Gottes (11–152) in den Blick, und der kürzere zweite handelt vom Wort Gottes bei P. Tillich (153–197).
R. eröffnet seine Prüfung der Wort Gottes-Theologie Barths mit dessen frühem programmatischen Aufsatz Das Wort Gottes als Aufgabe der Theologie (12–17) und wendet sich sodann den Paragraphen 1 bis 6 der Prolegomena der Kirchlichen Dogmatik zu (18–151). Schon der frühe Beitrag Barths zur Sache macht deutlich, es besteht eine »unüberbrückbare Diastase von Menschenwort und eigenem Wort Gottes« (12). Der Wort-Gottes-Theologie liege eine Abstraktion von der menschlichen Sprache zugrunde, die Letztere gleichgültig werden lässt. Luthers »est« von Gottes und Menschen Wort werde so ebensowenig erreicht (vgl. 13) wie Joh 1,17 (37.197). Die bereits im Vorspiel aufscheinenden Probleme der Wort-Gottes-Theologie Barths entfaltet R. in dem Durchgang durch die Prolegomena der Kirchlichen Dogmatik detailreich weiter. Durchweg weist er vor dem Hintergrund seiner sprachtheologischen Deutung des Wittenberger Reformators das Ungenügen der Theologie des Schweizer Theologen auf. Dieses gründe auf der programmatischen Ausblendung der menschlichen Sprache. Dadurch könne »ein echter Zusammenhang zwischen dem Menschenwort einer Rede von Gott und Gottes eigenem Wort (als wirklichem Wort!)« nicht »ernsthaft gedacht werden« (29). Demonstriert wird das an der in den Paragraphen 1 und 2 ausgeführten Einleitung in die Kirchliche Dogmatik, wie auch an Barths Ausführungen zur Verkündigung (§ 3), der dreifachen Gestalt des Wortes Gottes (§ 4), dem Wesen des Wortes Gottes (§ 5) und der Erkennbarkeit des Wortes Gottes (§ 6). Von einer »Theologie des Wortes Gottes« (152), so das Fazit, könne eigentlich bei Barth nicht die Rede sein. Die strikte Transzendenz Gottes sowie die Bindung seines Wortes an das Ereignis seiner Offenbarung heben das Wort Gottes von der menschlichen Sprache ab. Aber was ist ein Wort, welches außerhalb der Sprache und mithin nichtsprachlich ist?
Auch Paul Tillichs Theologie wird als Wort-Gottes-Theologie verstanden. Diese nimmt R. in dem zweiten Teil der Untersuchung anhand des Aufsatzes Wort Gottes aus dem Jahre 1957 in den Blick. Tillich hat keine Wort-Gottes-Theologie im Sinne von Barth ausgearbeitet, was auch R. deutlich ist. Das Wort Gottes wird folglich im Horizont einer Symboltheorie reformuliert. Dem gilt die Aufmerksamkeit des Autors. Dabei wird unter Symbol so etwas wie eine nachträgliche Deutung einer an sich selbst unsprachlichen Erfahrung bzw. Wirklichkeit verstanden. »Der Ausdruck ›symbolisch‹ steht also bei Tillich dafür ein, wie Worte sich auf eine Wirklichkeit sollen beziehen können, ohne dies als Worte, d. h. wörtlich zu tun.« (153; vgl. auch 193–196) Damit deutet sich auch bei Tillich an, die Symboltheorie reißt einen Abgrund zwischen Gott und der Sprache auf, so dass sich ebenso wie bei Barth ein sprachloses Verständnis des Gotteswortes abzeichnet.
Am Leitfaden seines eigenen, cum grano salis ontologischen und signifikationstheoretischen Verständnisses von Tillichs Symbolbegriff mustert R. dessen Ausführungen zum Wort Gottes aus dem Aufsatz von 1957. Auch bei Tillich liege ein Gegensatz von Gott und menschlicher Sprache vor, der im Unterschied zu Barth ontologisch gefasst werde. Der Gott Tillichs spricht ebensowenig wie der Barths (153 f.). Seine Offenbarung im Wort verdanke sich letztlich dem Menschen, der seine – an sich sprachlosen – ekstatischen Erfahrungen in Worte kleide. Der Symbolbegriff vermag die Sprachlosigkeit Gottes lediglich äußerlich zu überdecken (159). Dieser Befund wird sodann durch eine Analyse der von Tillich aufgeführten sechs Bedeutungen des Wortes Gottes vertieft (159–183) und in Ausführungen zum Wesen des Wortes Gottes bei Tillich zusammengefasst (186–193): Tillichs Gott ist sprachlos. »Die an sich selber unsprachliche ›Inspiration‹ ist in eine sprachliche Fassung zu überführen, deren Worte mit menschensprachlichen Mitteln nachträglich auf eine Ekstase hinweisen. Man steht vor dem erstaunlichen Ergebnis: das, was das Wort Gottes ausmacht, ist das menschliche Wort allein.« (169)
R. geht es weder um eine Rekonstruktion von Barths noch von Tillichs Theologie als solcher, ihn interessiert allein die Frage, ob sie seinem eigenen Verständnis des Wortes Gottes entsprechen, wie er es bei einem durch die Brille von Hegel und Hamann gelesenen Luther zu finden meint. Diese spekulative Sprachtheologie wird in der vorliegenden Untersuchung nicht eigens begründet und entfaltet, sie dient gleichwohl als Kriterium, an dem sich Barth und Tillich messen lassen müssen. Hinter seiner Diagnose, die Götter Barths und Tillichs seien sprachlos, steht natürlich auch bei R. nicht die Auffassung, Gott spreche die linguae adamae so, wie er mit »Hammern« werfe (153, Anm. 3). Die menschliche Sprache ist vielmehr das Andere Gottes, in der er bei sich selbst ist. »Gott hat die Menschensprache der Bibel zum Ort seiner eigenen Gegenwart für uns gemacht, und insofern spricht er ›durch‹ sie, in ihr als er selber.« (176) Dieser spekulativen Sprachdeutung, die menschliche Sprache als das Andere derjenigen Gottes zu verstehen, werden Barth und Tillich nicht gerecht. Es ist allerdings nicht nur diese spekulative Figur, der sich die beiden Theologen mit guten Gründen bei der Ausarbeitung ihrer eigenen theologischen Konzeptionen nicht angeschlossen haben, die Kritik zielt auch auf die Abstraktheit von deren Sprachverständnissen und deren (vermeintliche) Ausblendung der geschichtlichen Einbindung jeder Sprache. Dafür steht das Wort Gottes. Barth und Tillich, so R., abstrahieren in ihren Konzeptionen des Wortes Gottes von der sprachlichen Verfasstheit der Wirklichkeit und bringen das – von beiden unterschiedlich konstruierte – Gotteswort gegen diese zur Geltung.
Eine solche abstrakte Lesart, wie sie R. in seiner Studie vorführt, wird jedoch den Theologien Barths und Tillichs selbst in keiner Weise gerecht. Sowohl Barths Betonung der Transzendenz Gottes und der Bindung des Gotteswortes an das Ereignis der Offenbarung als auch Tillichs Symbolverständnis werden in ihren systematischen Funktionen verkannt. Dadurch liefert die Untersuchung auch keinen wirklichen Beitrag zum Verständnis von deren Reformulierungen des Wortes Gottes vor dem problemgeschichtlichen Hintergrund des 20. Jh.s.