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Ausgabe:

Juni/2016

Spalte:

710-711

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Agamben, Giorgio

Titel/Untertitel:

Das Geheimnis des Bösen. Benedikt XVI. und das Ende der Zeiten. Aus d. Ital. v. A. Hiepko.

Verlag:

Berlin: Verlag Matthes & Seitz 2015. 69 S. = Fröhliche Wissenschaft. Kart. EUR 10,00. ISBN 978-3-95757-097-0.

Rezensent:

Rebekka A. Klein

In seinem 2013 auf Italienisch erschienenen Band »Il mistero del male« sucht Giorgio Agamben ein weiteres Mal, die Irrungen der politischen Gegenwart durch eine Genealogie ihrer theo-politischen Verstrickungen aufzudecken. In seinem – nur 70 Seiten und zwei Aufsätze umfassenden – Büchlein wird nun eine Verbindung zwischen dem Amtsverzicht Papst Benedikt XVI. am 10. Februar 2013 und der Krise der politischen Institutionen in den westlichen Demokratien der Gegenwart hergestellt. Diese Krise beruht nach A. a uf der Nivellierung der eigentlich als produktiv anzusehenden spannungsvollen Differenz von Legalität und Legitimität. Dass diese Differenz in der Gegenwart zum Verschwinden gebracht wird, werde – ausgerechnet – durch den Amtsverzicht des Papstes exemplarisch offengelegt. Denn mit ihm sei ein Akt des Widerstandes gegen die herrschende Praxis der Begründung von Machtausübung in Verfahren formeller Rechtmäßigkeit vollzogen. Dies meint A. durch eine eingehende Analyse der Ekklesiologie Joseph Ratzingers und ihrer Bezüge auf die Kirchenlehre des antiken nordafrikanischen Bischofs Tyconius nachweisen zu können.
Wie kann aber der Akt eines geistlichen Würdenträgers als Hinweis auf die politische Krise der Gegenwart oder gar auf ihre Lösung verstanden werden? Diese These A.s kann zum Ersten nur verständlich werden, wenn man bereits weiß, dass er die theo-politischen Verstrickungen der Antike und mit ihr die Entstehung eines spannungsvollen Miteinanders von weltlicher und geistlicher Macht im Mittelalter verantwortlich macht für die politischen Krisen der Moderne. Und sie kann zum Zweiten nur verständlich werden, wenn man bereits weiß, dass A. im Anschluss an Walter Benjamin dem Messianischen, das er als eine eschatologische Dimension der Zeit deutet, eine besondere revolutionäre Kraft zuweist. Letztere besteht im Hinblick auf den Amtsverzicht Benedikts konkret darin, dass durch ihn eine Trennung zwischen Gläubigen und Ungläubigen, zwischen Kirche als Leib Christi und Kirche als Leib des Anti-Christ vollzogen wird. Diese Trennung wird nach A. mit dem Amtsverzicht als ein Ereignis der Jetzt-Zeit offenbar, in welcher Ökonomie und Eschatologie der Kirche miteinander kollidieren. Dass mit der Geste Benedikts zugleich Widerstand gegen die formale Leere des Legalismus demokratischer Institutionen und gegen den »Verlust jeder substantiellen Legitimität« im Prinzip der Volkssouveränität geübt wird, ist für A. verheißungsvoll. In ge­wohnter Manier weist er daher der Beschäftigung mit Theologie und Kirchenpolitik die Rolle zu, Quelle einer möglichen Transformation und Öffnung der politischen Krise der Gegenwart zu sein.