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Ausgabe:

Dezember/2015

Spalte:

1427–1429

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Häberle, Lothar, u. Johannes Hattler[Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Ehe und Familie – Säulen des Gemeinwohls.

Verlag:

Paderborn u. a.: Ferdinand Schöningh 2014. 188 S. m. Abb. Kart. EUR 24,90. ISBN 978-3-506-77936-6.

Rezensent:

Marianne Heimbach-Steins

Der Themenkreis »Ehe – Partnerschaft – Familie« wird in der Öffentlichkeit, in der Politik und in religiösen Zusammenhängen kontrovers diskutiert: Gesellschaftlicher Konsens besteht weder zu den normativen Vorstellungen, wie »Familie« zu definieren ist, noch darüber, wer eine Ehe schließen kann und in welchem Verhältnis die Institutionen »Ehe« und »Familie« zueinander stehen. Kontrovers verlaufen dementsprechend auch die politischen Auseinandersetzungen über angemessene Strategien und Maßnahmen der Familienförderung, in denen zudem nie nur die Anliegen der Familie als solcher Berücksichtigung finden, sondern auch vielfach gegenläufige Interessen der Geschlechtergleichstellung und der ökonomischen Verfügbarkeit von Frauen und Männern am Arbeitsmarkt. Schließlich melden sich in allen diesen Debatten weltanschauliche Akteure mit ihren jeweiligen Interessen an einer orientierenden und normierenden Einflussnahme auf die politischen Prozesse und die gesellschaftliche Meinungsbildung vielstimmig zu Wort. In diesem Szenario ist der vorliegende Sammelband zu verorten. Er enthält insgesamt elf Beiträge unterschiedlichen Charakters und uneinheitlicher Länge sowie mehrere Protokolle von »Aussprachen« zu jeweils zwei oder drei Beiträgen.
Zu einer sachlichen Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen Aufgabe der Familienförderung tragen vor allem die beiden juristischen Beiträge bei. Der Arbeitsrechtler Gregor Thüsing verhandelt die nach wie vor höchst virulente Aufgabe, die Vereinbarkeit von Familienaufgaben und Berufsarbeit zu verbessern, unter dem Leitmotiv der Arbeitszeitpolitik (der Zentralperspektive des unter Thüsings Federführung erarbeiteten 8. Familienberichts der Bundesregierung). Der Augsburger Öffentlich-Rechtler Gregor Kirchhof markiert steuer- und sozialversicherungsrechtliche Desiderate der Familienpolitik: Er kritisiert, dass als ehebezogene Leis­tungen oder als »Familienleistungen« deklarierte Maßnahmen und Ausgaben vielfach keine genuinen Leistungen, sondern »Verschonungen« des geschützten Existenzminimums darstellen, und legt dar, dass der noch immer unzureichende Ausgleich zwi-schen Familien und Kinderlosen im Sozialversicherungssystem im Sinne des »Generationenvertrags« einer Kompensation bedarf. Aus volkswirtschaftlicher Sicht kritisiert Michael-Burkhard Piorkowsky einen einseitig auf die Konsumentenrolle enggeführten Haushaltsbegriff und schlägt ein umfassenderes Modell des Haushalts als Wirtschaftseinheit vor. Allerdings stellt er keinen Zusammenhang zwischen der volkswirtschaftlichen Modellierung und den gesellschaftspolitischen Fragestellungen her.
Die anderen Beiträge stimmen in der Zielsetzung weitgehend überein und variieren die stets gleiche Botschaft. Sie zielen darauf, eine bestimmte normative Konzeption stark zu machen und nicht geteilte Positionen zu delegitimieren. Kurz gefasst geht es darum, die institutionelle Einheit »Ehe und Familie« als »die normale Familie«, als »natürliche« Grundlage und als »naturrechtlich« legitimiert und damit als das einzig legitime, weil »gesunde« Modell für die moderne Gesellschaft zu behaupten und gegen Infragestellungen zu verteidigen. Dementsprechend werden alle Tendenzen, politischen Entwicklungen und Argumentationen, die auf eine rechtliche Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften mit der heterosexuellen Ehe hinauslaufen, als illegitim dargestellt. Als Hauptursache dieser als zerstörerisch eingeschätzten Entwicklung wird das ausgemacht, was in der Terminologie der Autoren und Autorinnen »Gender-Ideologie« oder »Genderismus« genannt und in der für die religiöse und politische Anti-Gender-Polemik typischen, immer wieder beeindruckend unterkomplexen Klischeehaftigkeit charakterisiert wird.
Dieses Programm stellt der Beitrag von Manfred Spieker »Ehe und Familie als Ressource der Gesellschaft« idealtypisch vor. Er differenziert nicht zwischen den gesellschaftlichen Institutionen der Ehe und der Familie und deren rechtlichem Status einerseits und dem in der Lehre der katholischen Kirche vorausgesetzten normativen Zusammenhang von »Ehe und Familie« als einer Institution andererseits. Ein idealisiertes Bild der (ehebasierten) Familie kontrastiert einem Horrorszenario der Schwächung bzw. Zerstörung der Familie, in das ohne Differenzierung die unterschiedlichsten Einflussfaktoren eingespielt werden. Angaben zur Quellenbasis sind teilweise verschleiernd. Die Anti-Gender-Polemik erfüllt alle Klischees und ideologischen Simplifizierungen; eine Auseinandersetzung mit dem wissenschaftlichen Gender-Diskurs findet nicht einmal ansatzweise statt. Die Ausgrenzung »verdächtiger« Akteure wie des Zentralkomitees der deutschen Katholiken aus der katholischen Kirche (vgl. 41) wird nebenbei mitgeliefert.
Der Beitrag von Robert P. George versucht, die Frage »Was die Ehe ist – und was sie nicht ist« zu beantworten: Von fortpflanzungsbezogenen oder nicht-fortpflanzungsbezogenen sexuellen Praktiken leitet er ein Kriterium der ›Ehelichkeit‹ oder Nichtehelichkeit im normativen Sinn ab, um zu beweisen, dass eine gleichgeschlechtliche Partnerschaft keine »Ehe« sein kann. Die biologistische Argumentation überzeugt ebenso wenig wie die annähernd pornographisch anmutende Fixierung auf Genitalität dem Charakter der ehelichen Beziehung gerecht wird.
Einen weiteren Horizont nimmt Janne Haaland Matlary in ihrem Plädoyer für eine Rehabilitierung des Naturrechts in den Blick. In der Auseinandersetzung mit Tendenzen einer völligen Gleichstellung heterosexueller und homosexueller Paargemeinschaften fokussiert sie die Position der Kinder bzw. die Frage nach einem »Recht auf ein Kind«, die ohne Zweifel einer sorgfältigen Erörterung bedarf (es gibt gute Gründe zu bezweifeln, dass es ein Recht auf ein Kind geben kann). Dazu thematisiert sie den Zusammenhang von Menschenrechten (und Kinderrechten), Naturrecht und Vernunft. Ihre Argumentation beruht auf einem (sich auf Josef Ratzinger/Papst Benedikt XVI. berufenden) kulturpessimistischen Grundverständnis, das die europäische Moderne ausschließlich von einem technisch-instrumentellen Vernunftkonzept bestimmt sieht. Mag die Kritik eines übertriebenen Vertrauens in diesen Typus der Vernunft nicht ohne reales Fundament sein, so ist es doch höchst einseitig zu behaupten, die »moderne, europäische Vernunft« sei »auf technisches, mathematisches oder empirisches Wissen beschränkt«, und schon die Frage nach der rationalen Bestimmbarkeit grundlegender Normen und Werte provoziere, für verrückt erklärt zu werden (vgl. 140.142).
Die Texte gehen bis auf eine Ausnahme auf eine Kolloquienreihe des Kölner Lindenthal-Instituts zurück. Die meisten der beteiligten Autorinnen und Autoren sind über diesen Rahmen hinaus in netzwerkartigen Strukturen verbunden, die sich – mit ein wenig Recherche – dem Opus Dei und dessen akademischen und erwachsenenbildnerischen Institutionen zuordnen lassen. Die Beiträge, die für die Gedankenführung dominanten Quellen und Denkmuster lassen sich als Insider-Kommunikation beschreiben (man zitiert sich gegenseitig, rekurriert auch da auf Quellen der religiö sen Tradition, wo zur Untermauerung von Behauptungen so-zialwissenschaftliche Expertise erforderlich wäre, und verzichtet da­rauf, sich mit den als ideologisch diffamierten Positionen direkt auseinanderzusetzen). Durch Hinweise auf die akademische Ver­ortung, auf akademische Lehrer und häufig nur sehr pauschal ge­nannte »Studien« wird ein Anspruch von Wissenschaftlichkeit gepflegt, den die Beiträge vielfach nicht einlösen; auch die Autorität des »richtigen Lebens«, die (allerdings nur bei den Angaben zu Autorinnen) durch Einspielen der Zahl »zu Hause erzogener Kinder« belegt wird, zu beanspruchen, kann den Mangel an wissenschaftlicher Überzeugungskraft nicht kompensieren.