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Ausgabe:

Juli/August/2015

Spalte:

848–850

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Schröter, Jens [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Jesus Christus.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2014. XI, 338 S. = UTB S 4213; Themen der Theologie, 9. Kart. EUR 19,99. ISBN 978-3-8252-4213-8.

Rezensent:

Eckart David Schmidt

Der angezeigte Band nimmt in der erst seit 2011 im »kleinen« UTB-Format erscheinenden Reihe »Themen der Theologie« eine gewisse Sonderposition ein, da er mit »Jesus Christus« kein theologisches Abstraktum, keinen Locus theologicus oder Ähnliches zum Thema hat (wie z. B. »Freiheit«, »Gerechtigkeit« »Schöpfung«, »Taufe«, »Kirche«, »Trinität«), sondern eine historische Figur (Jesus) und ein Bekenntnis zu ihr (Christus), das seinerseits als ein Grundbekenntnis des gesamten christlichen Glaubens gelten kann, an dem sich wiederum mehr oder weniger die gesamte christliche Theologie auffächern ließe. Die Autoren des Bandes verweisen (vor allem in den Artikeln zur Kirchengeschichte, zur Systematischen und Praktischen Theologie) konsequenterweise auch immer wieder auf Implikationen ihrer Ausführungen für Gotteslehre, Hamartiologie, Soteriologie, Abendmahlslehre, Schrift- und Offenbarungsverständnis, Frömmigkeitsgeschichte, Ethik, Liturgie u. a. m.
Markus Wittes Essay zu »Jesus Christus im Spiegel des Alten Testaments« (13–70) skizziert »strukturelle Entsprechungen [von Altem und Neuem Testament], konzeptionelle und motivische Parallelen sowie traditionsgeschichtliche Verbindungen in der Rede von Gott im Alten und im Neuen Testament« (21 f.). Witte zeigt so breitgefächert, wie alttestamentliche Denkkonzepte, Gottesnamen und -titel (z. B. auch die »Ich-bin-Worte«), auf Gott hin gedeutete Lebenserfahrungen wie Schöpfung, Bewahrung, Be­ freiung, Geschichtslenkung, Gerechtigkeit, Weisheit usw. einen multiperspektivischen Denkhorizont bilden, aus dem heraus das Neue Testament Jesu Leben, Tod und Auferstehung deutet.
Reinhard v. Bendemann betont in seinem neutestamentlichen Beitrag (71–118) die Vielfalt neutestamentlicher Christologien. Nach einer kurzen Skizze zum »historischen Jesus« zeichnet er exemplarisch die Darstellung Jesu Christi in den jeweiligen Einzelschriften nach. Bei Paulus thematisiert er die Rede von Jesus als Gekreuzigtem, die aber nicht gegen die komplementäre Rede von Jesus als erhöhtem Kyrios ausgespielt werden darf. Der Briefliteratur stehen die narrativ entfalteten Christologien der Evangelien in ihren unterschiedlichen Aspekten gegenüber (Jesus als Lehrer, Sohn Gottes, Menschensohn, Wundertäter, Erfüller des Willens Gottes usw.). Im Hebräerbrief wird Jesus als himmlischer Hohepriester charakterisiert, in der Johannesoffenbarung als siegreiches Lamm. Obwohl von Bendemann seine Ausführungen am Ende be­wusst nicht einem »neutestamentliche[n] christologische[n] ›Grundcredo‹« (113) subsumiert, hält er fest: »Der Tod Jesu am Kreuz bezeichnet das entscheidende ›Ein-für-alle-Mal‹ […] – und zwar auch dort, wo er sein Licht von der Auferweckungs- und Erhöhungsaussage her erhält« (115).
Der Kirchengeschichtler Martin Ohst verzichtet in seinem Beitrag (119–179) bewusst auf die Darstellung der Entwicklung des Trinitätsdogmas sowie auf die Wissenschaftsgeschichte zum »his­torischen Jesus«. Stattdessen setzt er bei der basalen Zugeordnetheit von Christologie/Soteriologie und Ethik schon im frühen Christentum an (Philipper-Hymnus, 1Petr, 1Clem) und entfaltet auf dieser Basis unterschiedliche Strömungen christologischer Theologieentwicklung, wobei der deutliche Schwerpunkt auf den Epochen vor und bis einschließlich Luther liegt. (Der einzige Theologe, dem ein eigenes Kapitel gewidmet ist, ist Augustin [129–137], ein weiteres Hauptgewicht eines einzelnen Theologen liegt bei Luther selbst [161–167]; die nachreformatorische Christologiegeschichte wird auf nur etwas mehr als fünf Seiten zusammengefasst [167–172].) Gewinnbringend ist, dass Ohst nicht nur die Positionen der theologiegeschichtlichen Granden thematisiert (so tendenziell noch zur Alten Kirche u. a. mit Tertullian, Cyprian von Karthago, Ambrosius – nicht allerdings Athanasius), sondern auch die seelsorgerlich ausgeformten Jesulogien bzw. Christologien des weniger bekannten Johannes von Paltz (um 1500) oder der monastischen Mystik Bernhard von Clairvauxs († 1153).
Auch Notger Slenczka beginnt seinen systematisch-theologischen Beitrag (181–241) mit der Bestimmung eines christologischen »Zentrums« aus dem Neuen Testament heraus, auch hier ist der Philipper-Hymnus Brennpunkt (Weiterführungen bei Mk und Joh). Ergebnis ist eine »kontrafaktische Definition Gottes und des Menschen als Zentrum der Christologie«, d. h. eine mittels Bezug auf Leben und Geschick Jesu zu erfolgende Neubestimmung der Semantiken von »Gott« und »Mensch« im Sinne einer jeweils spezifisch zu verortenden Idiomenkommunikation. Slenczkas dogmen geschichtliche Darstellung – nun auch zu den trinitätstheolo-gischen und christologischen Diskussionen des 4. und 5. Jh.s, die bei Ohst ja ausgespart sind – mit Schwerpunkten bei Luther und Schleiermacher bleibt diesem thematischen Fokus zugeordnet und mündet in einen systematischen Hauptabschnitt zum »existentiale[n] Sinn der Christologie«: »[D]ort, wo im Deuten des eigenen Lebensvollzuges sich unverfügbar dieser Sinn des Kreuzes als Ort der Gottesnähe einstellt, wird Jesus von Nazareth als gegenwärtig und so als der Auferstandene erfahren.« (227)
In dem mit Abstand kürzesten Aufsatz des Bandes »Wer ist Jesus Christus für uns heute?« (243–266) schreitet Helmut Schwier aus praktisch-theologischer Perspektive kursorisch unterschiedliche geistliche Tätigkeiten und Vollzüge ab, in denen Jesus Christus erkennbar und erfahrbar wird: im Gottesdienst, in der Predigt, im Unterricht, in der Diakonie, aber auch in Kunst und Kultur wie Musik, Malerei, Film etc. Dies erfolgt eher deskriptiv ohne problematisierende Diskussion, wie Gottesdienste, Predigten, Weihnachtskrippen oder Aufführungen von J. S. Bachs Passionen oder Ähnliches die »Präsenz Christi« »prägen« und »erkennbar« machen.
Im letzten Beitrag aus religionswissenschaftlicher bzw. interkultureller Perspektive (267–297) informiert Klaus Hock über die Rezeption Jesu in diversen Interpretationszusammenhängen des Islam (im Koran, in unterschiedlichen Schulen der Islamgeschichte, im Sufismus, in zeitgenössischen islamischen Diskursen) und des Hinduismus, nur kurz im Judentum und Buddhismus sowie in kontextuellen Christologien wie vor allem im afrikanischen Chris­tentum, wo christologische Deutungen der Person Jesu von Na-zareth aus genealogischen und vielfältigen kulturellen und reli-gions- bzw. kultgeschichtlichen Gründen noch vor ganz anderen Herausforderungen stehen als in der westlich-europäischen Welt. Für die Auseinandersetzung zur Bedeutung Jesu in der Interkulturellen Theologie formuliert er die offenzuhaltende Frage, »was in der ›axialen Signifikanz Jesu‹ für das Christentum jenseits kontextueller Varianten als Gemeinsames identifiziert werden kann […] und wie dies geschehen soll« (294). – Der Herausgeber des Bandes, Jens Schröter, übernimmt eine in allen Bänden der Reihe vorgesehene »Zusammenschau« (299–307).
Es handelt sich bei dem neuen TdT-Band um eine Sammlung hochinformativer und dicht geschriebener Essays (m. E. an­spruchsvoller, als es der Klappentext des Bandes erwarten lässt). Jeder Aufsatz endet mit einem ausführlichen Literaturverzeichnis; Querverweise unter den Beiträgen sind eher rar (s. etwa 106.213.248 f.). Herausfordernd in einem recht kleinen Band zu einem so umfassenden Thema wie »Jesus Christus« ist freilich die didaktische Reduktion. Was Ohst einleitend zu seinem eigenen Beitrag schreibt, nämlich dass auch nach Abzug etlicher Einzelthemen die »schiere Masse dessen, was der Beachtung und der Würdigung wert wäre, noch völlig unübersehbar« (120) bleibt, träfe auch für die Beiträge der anderen Autoren und damit auf den gesamten Band zu. Hinter vielen Absätzen, teilweise gar einzelnen Sätzen stehen komplexe und stark komprimierte Diskurse. Für den aufmerksamen Leser, der das Gelesene gelegentlich auch durch vertiefende Zusatzinformationen ergänzt, wird die Lektüre überaus gewinnbringend und lohnend sein.