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Ausgabe:

Juli/August/2015

Spalte:

832–834

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Schwarke, Christian

Titel/Untertitel:

Technik und Religion. Religiöse Deutungen und theologische Rezeption der Zweiten Industrialisierung in den USA und in Deutschland.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2014. 270 S. m. zahlr. Abb. Kart. EUR 29,90. ISBN 978-3-17-022498-8.

Rezensent:

Hans-Dieter Mutschler

Seit langer Zeit ist nun wieder eine Monographie zum Thema »Technik und Religion« erschienen. Tatsächlich gibt es zwischen religiöser und technischer Welt eine lang andauernde Entfremdung und Sprachlosigkeit. Diese Entfremdung aufzuheben, ist der Sinn dieses Buches, wobei Christian Schwarke mit Vorliebe auf US-amerikanische Verhältnisse zurückgreift, wo der Tranzendenzbezug zur Technik eher deutlich wird. In zweiter Linie bezieht er sich aber auch auf die Verhältnisse in Deutschland und beendet sein Buch mit einer Verhältnisbestimmung zur traditionellen Theologie, die seiner Meinung nach fast durchweg einen ungesunden Gegensatz zwischen Religion und Technik lehrt.
Eine große Rolle spielen in S.s Arbeit symbolische Vermittlungen durch die Kunst, ja sogar durch Comics, Werbung und Populärwissenschaft. Hier zeige sich, dass die gängige Entgegensetzung zwischen Religion und Technik überwindbar sei. S. analysiert z. B. des Näheren die Weltausstellungen in Chicago (1933) und in New York (1939) und die Art, wie dort die neueste Technik fast durchweg und problemlos religiös überhöht wurde.
Es fällt auf, dass dieses Buch an keiner Stelle Gebrauch von der Technikphilosophie macht, wie überhaupt die Philosophie hier kaum eine Rolle spielt. S. bezieht sich auch nur peripher auf die Naturalismusdebatte, z. B. auf die Computertheorien des Geistes. All dies scheint S. irrelevant zu sein, weil er einen sozialkonstruktivistischen Standpunkt einnimmt. Das heißt, es geht ihm nicht um objektive Verhältnisse, sondern um Weisen der Wahrnehmung. Daher ist permanent die Rede davon, dass es nur unsere Wahrnehmung sei, die die »Maschine als anonyme, unpersönliche Größe gegenüber dem Personalen« deutet. (217). Man kann also in dieser Sichtweise nicht behaupten, dass Maschinen etwas objektiv Unpersönliches seien, sondern die Gesellschaft entschließt sich, sie so zu sehen. Ein veränderter, ja wünschenswerter Blick könne in der Technik sowohl das Verfügbare als auch das Unverfügbare erkennen (20). Die Reflexion auf die Kunst habe nun gezeigt, dass die Technik genauso »transzendenzfähig wahrgenommen werden kann wie ein liebliches Tal« (140).
Das ist nun erst einmal eine erstaunliche Behauptung. Ist es wahr, dass ich Gott in einem Schaufelbagger genauso gut erkennen kann wie in einem naturbelassenen, verschwiegenen Tal? Spielt die objektive Struktur der Erfahrung hier überhaupt keine Rolle mehr? Und sollte es uns nicht stutzig machen, wenn es 99 % der Menschen anders empfinden, wobei zu vermuten ist, dass auch S. zu diesen 99 % zählt?
Kann es sein, dass hier ein leichtfertiges Spiel mit der Sprache gespielt wird? Wenn die Widerständigkeit und der Eigensinn des Realen konstruktivistisch aufgehoben werden, dann scheint es, dass man alles aus allem machen kann. Ist es denn wirklich wahr, dass wir in der Technik das Unverfügbare erkennen, wo doch Technik zu nichts anderem auf der Welt ist, als sie verfügbar zu machen, und wo doch gerade diese beliebige Verfügbarkeit die Ursache ist für eine verbreitete materialistische Grundeinstellung bei vielen Zeitgenossen? Kann es erlaubt sein, sie so wenig ernst zu nehmen? Darf ich zu einem solchen Materialisten sagen: »Schau doch mal richtig hin, dann wirst Du das Unverfügbare in der Maschine sehen«?
Vor 40 Jahren schrieb der Journalist, vielfache Studienabbrecher und notorische Esoteriker Robert Pirsig den Bestseller »Zen und die Kunst, ein Motorrad zu warten«, und damals hörten wir genau dieselben Töne. Pirsig sagt: Es ist klar, dass »die Ursache der Trostlosigkeit der Technik im Unvermögen der Technologen wie der Technikgegner liegt, Qualität in der Technik wahrzunehmen […] Die Gottheit wohnt in den Schaltungen eines Digitalrechners oder den Zahnrädern eines Motorradgetriebes ebenso bequem wie auf einem Berggipfel oder im Kelch einer Blüte.«
Die Vorstellung, dass die Gottheit in den Zahnrädern eines Mo­torradgetriebes bequem wohnt, lässt uns an Le Corbusiers Wohnmaschinen denken, die ebenfalls nicht durch veränderte Sichtweisen bequemer werden. Wie verräterisch, dass manche Theo­logen sich in nichts mehr von der Esoterik unterscheiden!
Wenn man freilich Sozialkonstruktivist ist, dann lässt sich alles aus allem machen und alles in alles verwandeln. S. schreibt: »Wenn die Welt technisch gestaltbar ist, so muss vereinfacht gesagt, auch das Absolute technisch verstehbar sein.« (241) Das ist ungefähr so, als würde ich sagen: »Wenn alles Existierende monetär gewichtet werden kann, dann muss auch Gott in Termen von Geldwerten verstehbar sein.« Und so spricht denn S. von der Schöpfung als einem »technischen Vorgang« (244).
Hier rächt sich philosophische Unwissenheit. Habermas und Apel haben zu Recht auf der kategorialen Differenz zwischen dem Monologischen von Wissenschaft und Technik und dem Dialogischen sozialer Prozesse bestanden. Schöpfung ist etwas Dialogisches und in Termen des monologisch-technischen Handelns gar nicht beschreibbar. Damit stimmt überein, dass alle Technikphilosophen bestreiten, dass Technik für Sinnfragen zuständig ist. Technik stellt Mittel bereit zu dem, was über Technik hinausgeht. Sinnfragen sind schlicht nicht ihr Thema und seit Aristoteles unterscheiden wir poiesis von praxis. Aber weil S. all diese sinnvollen und allgemein anerkannten philosophischen Grundunterscheidungen konstruktivistisch unterläuft, überträgt er eine falsche Begrifflichkeit auf Gott. Er sagt: »Da wir eigentlich keinen anderen Begriff, bzw. keine andere Vorstellung von gezieltem Handeln zur Verfügung haben als den von der Technik abgezogenen Begriff«, wäre Technik »gleichsam als eine unserem Handeln erschließbare, uns zugewandte Seite göttlichen Handelns lesbar« (243). Aber welche Gründe könnte es geben, »gezieltes Handeln« auf technisches Handeln einzuschränken? Handelt jemand, der moralisch handelt, nicht auch »gezielt« oder ist es etwa nicht »gezielt«, wenn ich mich politisch-strategisch verhalte, was mit Technik nichts zu tun hat? Hier gehen die Kategorien durcheinander und es werden gerade die falschen auf Gott angewandt.
Und all dies stützt sich wesentlich auf die Darstellung des Technischen in der Werbung, die sich gerne religiöser Motive bedient, um cash zu machen. Aber anstatt diesen Missbrauch der religiösen Rede zu kritisieren, wendet ihn S. affirmativ. Hätte er statt drittrangiger Künstler, schierer Werbung und gehaltloser comic strips seinen Blick auf epochale Kunst gerichtet, dann hätte sich sein leichtfertiger Brückenschlag von selbst verboten: Nahezu alle Künstler der klassischen Moderne ignorieren oder verabscheuen die moderne Technik, Künstler wie van Gogh, Marc, Klee, Picasso oder Beckmann. Cézanne, Zeitgenosse der industriellen Revolution, ignoriert praktisch alles Technische und die Surrealisten verfremden es, wie z. B. Magritte. Die Konzeptkunst der Gegenwart ist hingegen maschinenstürmerisch wie bei Nam June Paik, ironisierend wie bei Jean Tinguely oder antitechnisch mit den Mitteln der Technik wie bei George Rickey. Das Problem der Technik ist also ein ontologisches und man schafft es nicht durch eine veränderte Einstellung aus der Welt, so wenig, wie man Gott und Geld vertauschbar macht durch eine Veränderung des Blicks. Es gibt Dinge, die sind von sich aus affin zu Gott, und es gibt andere, die sind es nicht; und wenn Gott sich selbst in allem gleichermaßen erkennt, sollten wir das getrost ihm selbst überlassen.