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Ausgabe:

Dezember/2014

Spalte:

1527–1529

Kategorie:

Kirchenrecht

Autor/Hrsg.:

Bier, Georg [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Der Kirchenaustritt. Rechtliches Problem und pastorale Herausforderung.

Verlag:

Freiburg i. Br. u. a.: Verlag Herder 2013. 288 S. = Theologie kontrovers. Kart. EUR 14,99. ISBN 978-3-451-30903-8.

Rezensent:

Philipp Thull

Mit seinem am 26. September 2012 höchstrichterlich gefällten Urteil beendete der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts zwar den von Kirche und Medien aufmerksam beobachteten, seit 2007 zwischen dem Erzbistum Freiburg und Hartmut Zapp geführten Verwaltungsrechtsstreit um den sogenannten ›Kirchenaustritt‹. Allein, die schon seit Jahren anhaltende Debatte um dieses typisch deutsch anmutende, die Geister scheidende Rechtskonstrukt, das, wie Bier in seinem Vorwort betont, »aus unterschiedlichen Gründen, aber mit großer Regelmäßigkeit ins Blickfeld der kirchlichen und gesellschaftlichen Öffentlichkeit« (9) gelangt, vermochte er nicht in Wohlgefallen aufzulösen. Im Gegenteil, gerade durch das am 17. September 2012 veröffentlichte ›Allgemeine Dekret der Deutschen Bischofskonferenz zum Kirchenaustritt‹ und das ›Pas-torale Schreiben (an die aus der Kirche ausgetretenen Personen unmittelbar nach Kenntnisnahme des Kirchenaustritts)‹ erfuhr die bisweilen kontrovers geführte staatskirchenrechtliche Diskussion einen neuen Schub und erreichte nach Urteilsverkündung gar »ihren vorläufigen Höhepunkt« (10). Bestimmend waren und bleiben vordergründig zwei Fragen: »In welchem rechtlichen Verhältnis stehen Körperschaft und Glaubensgemeinschaft zueinander? Und wie wirkt sich der Austritt aus der Körperschaft nach kirchlichem Verständnis auf die Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft aus?« (10)
Mit der Herausgabe dieses insgesamt 15 Beiträge umfassenden Sammelbandes hat sich Georg Bier das Ziel gesetzt, dem besseren Verständnis sowohl der Hintergründe als auch der unterschiedlichen Positionen dienen, Orientierungs- und Argumentationshilfen bieten und dem interessierten Leser »ein fundiertes eigenes Urteil« (10) ermöglichen zu können. Dem kurzen, aber prägnanten Vorwort (9 ff.) schließt sich eine hilfreiche »Dokumentation« (15 ff.) der für den Disput grundlegenden Schriftstücke an. Es handelt sich im Einzelnen um das Rundschreiben des Päpstlichen Rates für die Gesetzestexte an die Vorsitzenden der Bischofskonferenzen vom 13. März 2006, die Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz zum Austritt aus der Katholischen Kirche vom 24. April 2006, das Allgemeine Dekret der Deutschen Bischofskonferenz zum Kirchenaustritt sowie das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. September 2012. Es folgen die eigentlichen Diskussionsbeiträge (53 ff.).
Nach der bündigen Aufarbeitung der historischen Entwicklung des Kirchenaustritts durch René Löffler (53 ff.) bieten Michael N. Ebertz, Monika Eberhardt und Anna Lang (67 ff.) dem Leser unter Berücksichtigung einer eigens am ›Zentrum für kirchliche Sozialforschung‹ durchgeführten Befragung junger Menschen im Alter zwischen 18 und 35 Jahren einen aus pastoraltheologischer Sicht nicht uninteressanten Einblick in die individuellen Motive, die den Anstoß zu jenem Prozess bieten, der so oft mit dem ›Kirchenaustritt‹ endet.
Lesenswert aus juristischer Perspektive erweisen sich vor allem die beiden Beiträge von Martin Löhnig und Mareike Preisner einerseits (93 ff.) sowie Stephan Muckel andererseits (107 ff.). Sie lassen sich im Anschluss an die systematisch-theologischen Erwägungen von Elke Pahud de Mortanges (81 ff.) auf einen dialogischen Austausch der zur Urteilsbegründung herangezogenen Argumente ein. Erstere wenden sich ganz im Sinne des Beigeladenen Zapp gegen das vom BVerwG herangezogene sogenannte ›monistische Modell‹. Es führe zu »unhaltbaren Widersprüchen« (103), diene keineswegs der Erhaltung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts, leiste vielmehr der Erstreckung eines staatlichen Rechtsaktes in den Raum der Kirche Vorschub und sei insofern »nicht nur unzutreffend, sondern schlicht verfassungsinkonform« (104). Muckel hingegen erteilt den staatskirchenrechtlichen Erwägungen der Richter, die sich kaum von bisheriger höchstrichterlicher Judikatur hinsichtlich des sogenannten ›modifizierten Kirchenaustritts‹ unterscheiden, seine Zustimmung. Gleichwohl gibt er zu bedenken, dass das BVerwG den Blick auf den Wortlaut des Kirchenaustritts »künstlich« verenge und alle bis dahin geäußerten Anmerkungen Zapps schlicht ausblende. Immerhin biete die Entscheidung Anlass zu neuen Diskussionen.
Einen zweiten, nicht weniger konfrontationsträchtigen, gerade aus kanonistischer Perspektive aber aufschlussreichen Teilbereich bieten die Beiträge von Stephan Haering OSB (133 ff.) auf der einen sowie Georg Bier (157 ff.) und Norbert Lüdecke (171 ff.) auf der anderen Seite.
Haering schließt sich der von Michael Himmelsbach (121 ff.) verschriftlichten Sicht des Erzbistums Freiburg an. An dieser Stelle hätten auch die persönliche Stellungnahme des Beschwerdeführers selbst und die Meinung eines Vertreters der DBK [ein vom Herausgeber eingeladener »Repräsentant« musste »aus Zeitgründen« (10) jedenfalls absagen] ihren Platz finden können. Haering bekräftigt ausdrücklich, dass das kurz vor Urteilsverkündung veröffentlichte ›Allgemeine Dekret der Deutschen Bischofskonferenz‹ »einen insgesamt an­gemessenen rechtlichen Umgang […] darstellt« (148) und für eine von manchem gern gesehene Keiltreiberei zwischen deutschem Episkopat und Apostolischem Stuhl kein Raum mehr bleibe. Besondere Einzelfälle jedenfalls ließen sich mit dem »Instrument der Dispens« (149) lösen. Vollkommen zu Recht stellt er fest, dass bei aller Diskussion nicht in Vergessenheit geraten dürfe, »was die hauptsächliche und bleibende Aufgabe der Kirche ist, nämlich Zeichen und Werkzeug des göttlichen Heils für die Menschen zu sein« (152). Daneben, sich gegenseitig Schützenhilfe bietend, stimmen Bier und Lüdecke darin überein, dass das Listlsche ›monistische Modell‹ abzulehnen sei. Entgegen einer ›Realidentiät‹ halten beide eine Aufschlüsselung in Glaubensgemeinschaft und Körperschaft des Öffentlichen Rechts für nötig. Das Vorgehen der Deutschen Bischofskonferenz kritisierend resümiert Bier die Botschaft des ›Allgemeinen Dekrets‹ recht unverhohlen: »Wer nicht zahlt, glaubt auch nicht« und »Sakramente gibt es in der Kirche – zumin dest für den steuerpflichtigen Teil des Gottesvolkes – nur gegen Unterhaltszahlung« (168). Ähnlich unumwunden Lüdecke: Wer nicht gehorcht, wird belangt »nicht aufgrund eines staatlichen Urteils, sondern nur durch die Härte des (deutsch)kirchlichen Gesetzes, mit dem aus Gründen der Kirchenräson (c. 223) einem Gläubigen die sakramentale wie soziale Kirchenteilhabe fast völlig genommen wird.« (181)
Anregend und lesenswert sind schließlich die beiden Beiträge zur Wertung des ›Kirchenaustritts‹ im Bistum Chur von Martin Grichting (189 ff.) und zum Umgang der Österreichischen Bischofskonferenz von Gerald Gruber (201 ff.). Lob aus ökumenischer Sicht verdient die Berücksichtigung des von Jörg Winter dargestellten Um­gangs mit dem Kirchenaustritt im evangelischen Kirchenrecht (225 ff.). Seine Abrundung erfährt die Aufsatzsammlung schließlich durch die pastoraltheologischen Beiträge von Rainer Bucher (235 ff.), Stephanie Klein (251 ff.) und Andreas Wollbold (265 ff.).
Georg Bier ist es mit dieser Sammelschrift zweifellos gelungen, beiden Seiten dieser Kontroverse Raum für ihre jeweilige Argumentation zu bieten. In Conclusio erweist sie sich als ein lesenswerter, auch dem juristisch bzw. kanonistisch ungeschulten, aber interessierten Leser zu empfehlender Wegweiser durch das verminte Gelände dieses die Kirche(n) in Deutschland sicherlich auch weiterhin in Atem haltenden Komplexes. Bene eveniat!