Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Oktober/2014

Spalte:

1175–1176

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Dingel, Irene, u. Volker Leppin [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Das Reformatorenlexikon.

Verlag:

Darmstadt: Lambert Schneider Verlag 2014. 304 S. m. Abb. Geb. EUR 39,90. ISBN 978-3-650-40009-3.

Rezensent:

Martin Brecht

Das Genre Reformatorenlexikon ist nicht neu oder einmalig, aber anscheinend gerade wieder aktuell. Einer von den Herausgebern ist überdies an einem besonderen Lutherlexikon beteiligt: Robert Stupperich hatte 1984 bereits ein Reformatorenlexikon vorgelegt, das in knappen Artikeln ca. 320 Namen aus dem deutschsprachigen Bereich berücksichtigte. Die vorliegende Veröffentlichung will den europäischen Raum abdecken, beschränkt sich aber auf 40 alphabetisch angeordnete Artikel in Essayform von bis zu zehn Seiten im Umfang. Schon der Unterschied der beiden Ausgaben hätte Anlass sein können, vorweg über den Gehalt der Bezeichnung Reformator eingehender zu reflektieren. Denn fraglos ist es historisch instruktiv und bedeutsam, dass zahlreiche Orte und Territorien ihren eigenen Reformator mit typischen und spezifischen Aktivitäten vorweisen können. Daraus hätte sich auch ein breiter Bezug zur Reformation herstellen lassen. Derlei nähere Überlegungen stellt das knappe Vorwort des vorliegenden Werkes kaum an. Es will vorführen, dass Luther nicht der einzige Reformator war, und dabei über den deutschsprachigen Raum hinausgreifen, um die Vielfältigkeit der Reformation zu zeigen, auch wenn nicht alle Beteiligten in gleicher Weise zum Reformieren kamen. Immerhin gelingt damit eine kirchengeschichtliche Horizonterweiterung. Faktisch werden wichtige Repräsentanten der Reformation behandelt, auch solche, die nicht unbedingt kirchliche Praktiker waren. Auf diese Weise können sogar auch Reformatorinnen wie Argula von Grumbach oder Katharina Zell gewürdigt werden.
Die konfessionelle Bandbreite ist großzügig bemessen und schließt auch Antitrinitarier wie die beiden Sozzini (wenn auch nicht Servet) ein. Der abgedeckte Zeitraum im 16. Jh. reicht bis zur Verfestigung der Konfessionalisierung. Ein breiter Blick auf die Reformationsgeschichte ist so jedenfalls gegeben. Eigene Forschung findet im vorgegebenen Rahmen kaum statt. Vollständigkeit ist nicht angestrebt. In der Tat können einem Personen wie der Lutherschüler Johannes Agricola, der Konstanzer Ambrosius Blarer, der Engländer Thomas Cranmer, oder Erhard Schnepf, Paul Speratus, Johann Eberlin von Günzburg, Urbanus Rhegius, auch Bernhard Rothmann (Münster) usw. mit jeweils guten Gründen einfallen, die man neben anderen vermisst. Kriterien, wer aufzunehmen ist, hätten hier Beliebigkeit und Zufall wehren können. Die zu erwartenden Hauptfiguren kommen immerhin vor. Die Ausrichtung der Reformation auf einige Zentren wird nicht eigens hervorgehoben, ebenso wenig die Verbindung mancher Reformatoren untereinander. Die Herausgeber wollen nicht lediglich ein Nachschlagewerk bieten, sondern zugleich ein kontinuierlich lesbares Buch. Der Aufweis von Zusammenhängen hätte dabei hilfreich sein können. Die Parallelen in den Biographien bringen es freilich mit sich, dass die Gleichförmigkeiten nicht selten auf die Darstellungen durchschlagen. Wo vorhanden, sind den Artikeln wenigstens im Kleinformat Porträts beigefügt.
Folgende Artikel machen den Inhalt aus: Michael Agricola, Nikolaus von Amsdorf, Jakob Andreae, Robert Barnes, Theodor Beza, Andreas Bodenstein von Karlstadt, Johannes Brenz, Guy de Brès, Martin Bucer, Johannes Bugenhagen, Heinrich Bullinger, Johannes Calvin, Martin Chemnitz, Petrus Dathenus, Matthias Flacius Illyricus, Argula von Grumbach, Johannes Honterus, Balthasar Hubmaier, John Knox, Johannes à Lasco, Martin Luther, Philipp Melanchthon, Thomas Müntzer, Bernardino Ochino, Johannes Oekolampad, Andreas Osiander der Ältere, Petrus Palladius, Olaus Petri, Casiodorus de Reina, Katharina Schütz Zell, Kaspar Schwenckfeld von Ossig, Menno Simons, Lelio und Fausto Sozzini, Primus Truber, William Tyndale, Juan de Valdés, Pietro Paolo Vergerio der Jüngere, Andreas Volanus, Valentin Wagner und Huldrych Zwingli.
Vorgegeben wurde für die Artikel wohl das Schema Leben, Werk und Wirkung, das allerdings und mit Gründen nicht durchgehend beachtet wird, weil die Präsentationen gelegentlich auch den eigenen Gesetzen ihres Stoffes folgen. Die reformatorischen Spitzenrepräsentanten werden von bekannten Kennern der Reformationsforschung dargestellt. Es wurde ferner möglichst darauf geachtet, dass ausgewiesene Experten für die einzelnen Gestalten und ihre Umstände sowie Umfelder gewonnen wurden. Auf diese Weise ist zugleich ein Kreis internationaler Reformationsforscher und -forscherinnen beteiligt. Das ist nicht zuletzt der Präzision und Aktualität der bibliographischen und Literaturangaben zugute gekommen. Bei den Gestalten am Rande ist auch die historische Kompetenz der Bearbeitung geringer. Historische Versehen wurden immerhin weitgehend vermieden. In dieser Hinsicht und in der Aktualität wird Stupperich weit überboten. Vielleicht lassen sich irgendwann in einem weiteren Anlauf die Vorzüge beider Ausgaben samt den weiteren Aspekten kombinieren.